Deep Purple

Bemerkenswertes Vorstrafenregister (Teil 1)

Dass Deep Purple andere Künstler interpretieren, ist nichts Neues. Eine ganze Platte mit Cover-Versionen schon: Wir trafen Schlagzeuger Ian Paice und Keyboarder Don Airey und sprachen mit ihnen über ihr neues Album Turning To Crime, das am 26. November erscheint.

Deep Purple haben sich also dazu entschlossen, ein Album mit Coverversionen einzuspielen und so die Zeit bis zum Stattfinden der bereits mehrfach verschobenen Whoosh!-Tournee zu überbrücken. Der humorvolle Titel Turning To Crime (frei übersetzt: in die Kriminalität abgleiten) lässt vermuten, dass ihr euch des Risikos eines solchen Unterfangens durchaus bewusst gewesen seid: Cover-Alben gelten gemeinhin ja nicht unbedingt als preisverdächtige Kreativleistungen. Zumindest nicht die guten.
Ian Paice (lacht): »Richtig. Wir wollten mit dem Titel selbst aussprechen, dass wir uns mit der Platte eines Verbrechens schuldig gemacht haben, bevor die Fans es tun.«



Die Auswahl der Songs und der Originalinterpreten deckt ein sehr breites Spektrum ab: von Fünfziger-Jahre-Skiffle über Hippiemusik der Sechziger, von Detroit-Rock bis hin zu Ray Charles und Bob Dylan ist alles dabei. Und eben auch etliche Titel, die man nicht gerade mit Deep Purple in Verbindung bringen würde.
Ian Paice: »Das ist das Schöne: Wir konnten unseren Horizont und unsere musikalische Bandbreite wirklich erweitern. Mehr sogar, als wir das bei einem Album mit eigenen Songs hätten tun können. Bei der Auswahl ging es uns um Künstler und Musik, die für eine bestimmte Zeit im Leben eines jedes einzelnen von uns stehen und die uns wichtig sind. Es war unsere Prämisse, Tracks zu wählen, die für uns etwas Besonderes waren.«

Und wenn du sagst: uns, dann…
Ian Paice: »…dann bedeutet das immer, dass bei fünf Leuten eine Mehrheit dafür war.«



War das ein einfacher Prozess oder gab es dabei auch harte Debatten?
Don Airey: »Es war sehr einfach, auch wegen Bob Ezrin. Er hat diesen Prozess sozusagen kanalisiert und bei manchem Vorschlag auch mal gesagt: Findet ihr, dass das wirklich eine gute Idee ist?«
Ian Paice: »Bob war praktisch der Filter. Wir hatten viel mehr Songs vorgeschlagen, als wir aufnehmen konnten, und so gab es eben einen Abstimmungsprozess mit Mehrheitsentscheidungen. So einfach war das.«

Euer Stamm-Produzent Bob Ezrin (Alice Cooper, Kiss, Pink Floyd) hat euch mal als die britischste aller britischen Bands beschrieben. Nun habt ihr vorwiegend amerikanische Originale zu Deep Purple-Nummern umgearbeitet. Wie passt das zusammen?
Ian Paice: »Rock’n’Roll ist eine amerikanische Erfindung. Wir in Großbritannien haben uns dieser Musik bedient, aber wir haben sie nicht erfunden. Wir haben sie hier bei uns ein bisschen anders gespielt — und die Leute sind darauf abgefahren. Es ist nur natürlich, dass wir bei dieser speziellen Platte auf die ursprünglichen Wurzeln dieser Musik zurückgreifen.«
Don Airey: »Großbritannien war in den fünfziger Jahren ein merkwürdiger Ort. Hier war alles so langweilig. Und auf einmal redeten die Leute über Elvis Presley — plötzlich erwachte die Welt zum Leben! Das war wie ein Meteorit, der einschlug, explodierte und alles veränderte.«



Turning To Crime ist auf komplett andere Weise entstanden als die Vorgängeralben. Üblicherweise spielt ihr im Studio zusammen, reagiert wechselseitig auf das, was die Kollegen spielen. Pandemiebedingt hat diesmal jeder für sich zu Hause aufgenommen. Wie hat sich das angefühlt — am Anfang und im Verlauf des Entstehungsprozesses?
Don Airey: »Ian Gillan war zunächst sehr skeptisch. Er hatte nicht bloß erhebliche Zweifel, ob das eine für uns geeignete Aufnahme- und Arbeitssituation sein würde. Er brauchte eine Weile, um mit der Idee dieser Platte warm zu werden.«
Ian Paice: »Die wichtigste Frage war für uns alle tatsächlich: Kann das überhaupt funktionieren? Auch ich war mir nicht sicher, ob wir überhaupt dazu in der Lage sein würden, tausende Kilometer voneinander entfernt Musik zu spielen und diese dann auch noch so klingen zu lassen, als wären wir zusammen in einem Raum. Es gibt so viele Alben, die auf diese Weise aufgenommen wurden, aber meistens fehlt denen irgendetwas. Der Funke, das sichere Gefühl, dass die Musiker in einem Raum zusammen sind. Ich glaube, das haben wir gut hingekriegt. Das hat einfach mit der Qualität der Musiker in dieser Band zu tun und damit, dass wir schon so lange zusammen spielen. Es gibt ein unterbewusstes Verständnis zwischen uns. Allerdings muss ich zugeben: Wie gut es funktionierte, hat uns dann doch alle überrascht.«



Ian, speziell du hast auf Turning To Crime Dinge gewagt, die so auf den vorangegangenen Platten nicht zu hören sind. Als wir uns im Januar 2020 unterhielten, hast du darüber gesprochen, dass man als Drummer bei modernen Produktionen ein Sklave des Metronoms sei und nie wirklich frei spielen könne. Was du da jetzt aber bei ›Shapes Of Things‹ spielst — da dachte ich wirklich: Jetzt dreht er durch.
Ian Paice (lacht): »Die Sache ist doch die: Je öfter du etwas machst, desto leichter fällt es dir. Vor drei, vier Jahren fand ich es noch sehr problematisch, zu einem Click-Track zu spielen. Ja: das schränkt mich ein. Aber je öfter ich es tue, desto besser verstehe ich es. Was bitte nicht heißt, dass ich es lieben würde. Und es ist auch nicht vergleichbar mit den Freiheiten, die du auf der Bühne hast. Du musst dieses tickende Metronom in deinem Kopf ignorieren. Manche Drummer haben diese Uhr aber auch ganz tief drin in ihrem Kopf. Chad Smith von den Red Hot Chili Peppers zum Beispiel: Gib ihm ein Tempo vor — und zehn Minuten später ist er immer noch exakt und präzise in der Spur.«

Don, von dir sind einige Synthie-Soli und bestimmte archaische Sounds zu hören, die im Purple-Kontext sehr überraschend wirken. Etwa bei der Interpretation der Love-Nummer ›7 And 7 Is‹. Ihr habt ja unabhängig voneinander aufgenommen und erst ganz am Schluss gehört, was jeder Einzelne zu den Nummern beigetragen hat. Wie fühlte sich das an?
Don Airey: »Oh ja, wir haben uns gegenseitig überrascht. Es gab keine Telefonkonferenz, bei der beschlossen wurde, jemand solle dieses oder jenes tun. Wir haben einfach alle daran geglaubt, dass jeder intuitiv das Richtige tun würde. Ich hatte die seltene Gelegenheit, einige richtig alte Instrumente zu benutzen, die zu Hause in meinem Studio stehen. Ein altes Wurlitzer-Piano etwa. Dieses Solo, das du ansprichst, habe ich auf einem alten Minimoog gespielt. Das hat großen Spaß gemacht.«


Weiter zu: Bemerkenswertes Vorstrafenregister (Interview: Teil 2)


Eine weiterführende Story zu Turning To Crime findet sich zudem im kommenden ROCKS Nr. 86 (01/2022), das am 08. Dezember 2021 erscheint!

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