Chickenfoot

Triumph der Freilandhaltung

Es ist ähnlich wie bei Black Country Communion: Das zweite Werk von Chickenfoot schlägt das Debüt um Längen. Woran das liegt? Alle Bandmitglieder verdienen ihren Lebensunterhalt anderweitig. Gitarrist Joe Satriani bringt es auf den einfachen Punkt: »Wir haben Spaß!«

TEXT: JÖRG STAUDE |FOTO: Ross Halfin

Dass sie zum Lachen in den Keller gehen, kann man den vier Musikern keineswegs nachsagen. Bei Chickenfoot haben sich einige der schrägsten Vögel der Szene zusammengetan. Humor verbindet. Auch wenn sie sich privat gar nicht so gut kennen. Noch nicht. Vielleicht ist es auch ein Vorteil, dass sie nicht so eng wie andere aufeinander hängen. Denn der Terminkalender ist voll. Deswegen weiß Joe Satriani auch nicht genau, warum das Album erst Chickenfoot IV heißen sollte. »Das Meeting habe ich wegen einer Fotosession mit meinen Gitarren verpasst. Aber ich fand die Idee lustig.«

Der Gitarrist ist an einem regnerischen Sommertag extra nach Hamburg eingeflogen, um Interviews zu geben. Jetzt heißt die zweite CD aber Chickenfoot III, und auch das kann er nicht erklären. Von Sänger Sammy Hagar hieß es, die Gruppe habe den Zweitling ausgelassen und quasi eine Klasse übersprungen: versetzt wegen zu guter Leistungen.

Hinsichtlich der Qualität lässt sich diese Einschätzung durchaus nachvollziehen — obwohl die Titelgebung nur ein Witz ist, den schon die Traveling Wilburys erzählt haben, indem sie ihre zweite LP einst Vol. 3 tauften. Chickenfoot III ist mit seinen zehn Stücken ein kurzes, aber gleichwohl breitgefächertes Album, das den experimentellen Geist der siebziger Jahre in jeder Note atmet und auf dem sich kein Ausfall oder Füller findet. Es gibt straighte Rocksongs wie die erste Single ›Bigfoot‹, aber auch reine Popnummern wie das wunderschöne ›Different Devil‹ oder tolle Balladen wie ›Something Going Wrong‹.



Die Platte ist ein Kunstwerk des harten Rock. Denn Musik ist Kunst und für den mittlerweile 55-jährigen Satriani der Lebensinhalt. Ihm macht es Spaß, über seine Berufung zu reden. Wenn es um die Musik und deren Entstehung geht, ist er ernst und selten zu Scherzen aufgelegt. Er gibt auch zu, dass zwischen seinen Soloscheiben und denen der Hühnerkrallen Welten liegen. »Wenn man meine eigene Musik hört, könnte man den Eindruck bekommen, ich sei ein freudloser Perfektionist. Das bin ich gar nicht — ich bin ein völlig verrückter Kerl.« Was er bei Chickenfoot mehr denn je ausleben kann.

Man denke nur an ihre letzte DVD und das gespielte Interview mit Spinal Taps Gitarrist Nigel Tufnel alias Christopher Guest: eine spontane Geschichte, bei welcher der sonst so zurückhaltende Satriani fast wie ein professioneller Stand-up-Comedian auftritt. »Das hat riesigen Spaß gemacht«, grinst er. »Ich kann sehr kindisch sein, wenn ich will und muss.« Aber bestimmte Botschaften, die wie er meint jeder Künstler in seinem Werk transportieren sollte, ließen sich mit Instrumentalstücken nicht spezifisch genug vermitteln. »Das liegt in der Natur der Sache. Ohne Texte wirken Musikstücke seriöser.«



Der Multiinstrumentalist komponiert ständig. Die neue Produktion sei die schnellste der letzten Jahre gewesen, dem engen Zeitfenster geschuldet. Aber auch das habe Vorteile: »Man muss für jede Session top vorbereitet sein, denn die Uhr tickt. Manchmal hatten wir nur drei Takes, um ein Stück einzuspielen. Das kann frustrieren, ist aber auch eine Herausforderung, der wir uns gerne gestellt haben.« Alles in allem dauerte alles deutlich kürzer als beim Debüt, denn sie hatten mehr Ideen und auch mehr Lust auf diese Platte.

Außerdem gab es in Produzent Mike Fraser einen perfekten Katalysator, der die Aufgabenstellung am besten umsetzen konnte: Satriani solle anders als sonst spielen, verlangte Hagar, und Hagar solle tiefer singen, meinte Satriani. Dazu kommen eine Spontanität und eine Spielfreude, die der Scheibe einen Siebziger-Jahre-Touch verleihen. Joe Satriani nickt: »Wir haben vieles einfach so aufgenommen, wie es uns in den Kopf gekommen ist. Es gab keine Beschränkungen.«

Dennoch ist das Album nicht zu kurz: Es gibt für die verschiedenen Internet-Anbieter und für den japanischen Markt weitere Lieder, um jedem gerecht zu werden. Dem Traditionalisten Satriani passt das nicht in den Kram, aber er hat sich damit abgefunden: »Wenn es nach mir ginge, hätten wir die zehn Songs aufgenommen und wären damit auf Tournee gegangen, um sie den Leuten vorzustellen. Aber das ist heutzutage nicht mehr möglich. Man muss sich als Künstler auf die Veränderungen einstellen.«



Da Schlagzeuger Chad Smith bis circa 2013 bei seiner Hauptcombo Red Hot Chili Peppers eingebunden ist, haben sich Chickenfoot einen Ersatz gesucht. Voraussichtlich wird es der Session-Drummer Kenny Aranoff sein, der schon mit John Mellencamp, Bob Seger, John Fogerty, Elton John, Meat Loaf, Johnny Cash und Jon Bon Jovi gearbeitet hat. Der Vorschlag kam von Smith selber. Bassist Michael Anthony freut sich auch schon auf den Trommler.

»Vielleicht gibt uns das einen weiteren Schub«, hofft Satriani. »Wir geben im September zur Plattenveröffentlichung ein Konzert im Internet, grasen dann die üblichen US-TV-Shows ab und kommen eventuell im Frühjahr 2012 zuerst nach Europa. Wir haben mindestens eine Show in Hamburg nachzuholen, die wir leider 2009 wegen Chads Armverletzung absagen mussten.« Die Wartezeit wird eine Live-DVD in 3-D versüßen, die sie in Montreal aufgenommen haben. Ende Oktober oder Anfang November soll sie erscheinen.

Bis dahin wird noch genügend Gelegenheit sein, sich in der Gruppe näher kennenzulernen, zumindest auf der persönlichen Ebene. Joe Satriani erzählt, dass er Sammy Hagars Anfang des Jahres erschienene Autobiographie Red: The Uncensored Life In Rock mit Erstaunen und Interesse regelrecht verschlungen hat. »Das Buch hat mich tief beeindruckt. Ich hatte nicht gewusst, aus welchen Verhältnissen Sammy stammt und wie hart er sich seinen Erfolg erarbeiten musste. Ich habe viel daraus gelernt und verstehe jetzt, warum er das Leben liebt. Er lebt den amerikanischen Traum.«



Dieser Text stammt aus ►ROCKS Nr. 24 (05/2011).

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