Legt man die stattliche Anzahl all jener zugrunde, die im Motörhead-Leibchen in die Neue Stadthalle gekommen sind, lagen Accept bei der Wahl ihrer Vorgruppe goldrichtig: Phil Campbell And The Bastard Sons werden von den 1.400 Anwesenden mit offenen Armen empfangen. Mit einer gut austarierten Mischung aus Eigenkompositionen und Motörhead-Nummern sorgt das Quintett für ordentlich Dampf auf dem Kessel, der von Frontmann Joel Peters stets aufs Neue befeuert wird. Der vor drei Jahren zur Band gestoßene Sänger weiß sehr wohl, dass Lemmys ehemaliger Weggefährte der Chef im Bastards-Ring ist, gibt das Zepter aber nicht gänzlich aus der Hand. Peters hat einen ansehnlichen Bewegungsradius, kommuniziert abgebrüht mit dem Publikum und intoniert Stücke wie ›Schizophrenia‹ und ›Strike The Match‹ noch eine ganze Spur rotziger als im Studio. Selbst Songs wie ›Going To Brazil‹ und ›Killed By Death‹, die an sich nur mit Lemmy Kilmisters markantem Gesang wirklich rund sind, gelingen mit Peters Zutun einwandfrei — Hut ab vor dieser verblüffenden Leistung!
Der Boden ist demnach bereitet, als im Anschluss Accept mit ›The Reckoning‹ und dem Titelstück ihrer aktuellen Platte Humanoid loslegen. Die sechs Musiker brauchen keine Anlaufzeit, sie präsentieren sich mit ihrer warmherzigen Darbietung vor dem an das Album-Cover angelehnte Bühnenbild aus dem Stand heraus als abgeklärte Metal-Maschine. Das lässt sich ebenso auf die Songauswahl münzen: Die immer wieder geschickt zwischen Songs neueren Datums platzierten Klassiker verfehlen ihre Wirkung nie; auch nicht an diesem Abend: ›Restless And Wild‹, ›London Leatherboys‹, ›Midnight Mover‹, ›Breaker‹ und ›Metal Heart‹ lassen das bunt gemischte Publikum kollektiv eskalieren. Erfreulicherweise räumt der nach wie vor brillant aufspielende Wolf Hoffmann, nunmehr einzig verbliebendes Originalmitglied, seinen Mitstreitern Uwe Lulis und Phil Shouse mittlerweile wesentlich mehr Entfaltungsspielraum ein als in der Vergangenheit und reißt nicht ausnahmslos jedes Solo an sich. Beide bekommen ebenso ihre Zeit im Scheinwerferlicht wie Bassist Martin Motnik. Eine weitsichtige Entscheidung des Bandgründers, die den Mannschaftsgeist spürbar stärkt und den Unterhaltungswert für die begeistert abrockende Menge vor der Bühne zusätzlich hebt.
Letzteren bietet auch Frontmann Mark Tornillo. Der 70-jährige Amerikaner ist nach wie vor prächtig bei Stimme, hat bei den unverwüstlichen, zu einem kurzweiligen Medley verknüpften Preziosen ›Demon’s Night‹, ›Starlight‹, ›Losers And Winners‹ und ›Flash Rockin’ Man‹ ebenso viel Spaß wie bei den auf ihn zugeschnittenen ›Dying Breed‹ und ›Teutonic Terror‹ und feuert Schlagzeuger Christopher Williams bei dessen kurzem in ›Metal Heart‹ eingewobenen Solo-Spot vom seitlichen Bühnenrand aus an. Die beinahe hundert Minuten lange, klanglich exzellent in Szene gesetzte Show bietet wenig Verschnaufpausen und ist schneller vorbei, als vielen Anhängern lieb ist: Mit ›Pandemic‹ beenden Accept ihr reguläres Programm, ehe sie mit dem obligatorischen Zugaben-Triple ›Fast As A Shark‹, ›Balls To The Wall‹ und ›I’m A Rebel‹ endgültig zum Zapfenstreich blasen.