Extreme

Souverän mit irrem Groove

Tourneen von Extreme hat es in den vergangenen Jahren auch in Europa immer wieder gegeben. Dabei schien sich zu bewahrheiten, dass zumindest manche der alteingesessenen Szene-Bands offenbar tatsächlich keine neuen Alben mehr benötigen, um Konzerthallen zu füllen.

TEXT: DANIEL BÖHM |FOTO: André Wilms

Dass es aber eben doch einen Unterschied macht, ob sich Musiker damit begnügen, Geleistetes auszukosten oder aber ihren Schöpfungsdrang pflegen und sich kreativ fortlaufend herausfordern, weil es antreibt, wach- und den knallenden Spaß am eigenen Tun lebendig hält, wird an diesem Konzertabend umso deutlicher.

15 viel zu lange Jahre hatten diese schon immer sehr eigenwilligen Hardrocker um Star-Gitarrist Nuno Bettencourt auf ein weiteres Studio-Album warten lassen — fast schon empörend genussvoll demonstrierten sie dann auf Six (2023), wie souverän sie in dieser Zeit mit ihrem Sound gewachsen sind. Dass diese begnadeten Instrumentalisten genau jetzt und aus aufrichtigen und exakt den richtigen Beweggründen Musik machen, trifft den Nerv des Publikums.

Die ehrwürdige Live Music Hall inmitten des von geleckter Gentrifizierung umgewälzten Kölner Stadtteils Ehrenfeld ist ausverkauft und zieht ein erfrischend buntes Publikum unter ihr Dach: Viele treue Veteranen und Veteraninnen sind zu sehen, die gemeinsam mit Extreme durch die Jahre gegangen sind. Aber eben auch viele junge Fans, die sich gleich mitten in den Feierpulk vor der Bühne durchschlagen.

Dass Extreme 1990 mit ihrem zweiten Album Pornograffitti dermaßen steil durch die Decke gingen, hatte viel mit der Hit-Ballade ›More Than Words‹ zu tun, vor allem aber mit ihrem ungeheuer frischen Sound, in dem Bettencourts rhythmisch kecke und hoch virtuose Gitarrenarbeit den US-Hardrock der Bostoner so quicklebendig und dabei wenig angeberisch funkeln ließ wie lange niemand. Das tut er heute noch. Bereits vor der Veröffentlichung von Six versetzte der auf den Azoren geborene Portugiese die weltweite Handwerker-Szene mit seinem Solo in der Vorab-Single ›Rise‹ in freudige Erregung und weckte neue Begeisterung für sein Spiel und den markanten Nuno-Sound, den es an diesem Abend immer und immer wieder zu beklatschen gibt.

Band und Publikum legen einen zünftigen Kaltstart hin mit dem Auftaktdoppel ›It (’s A Monster)‹ und ›Decadance Dance‹, das als großes Hallo zurück zu Pornograffitti führt — ersteres als famos riffender Groove-Hardrocker mit mitnehmenden Solo-Spots, gleich die erste Strophe von ›Decadance Dance‹ singt die Halle traditionsgemäß aus vollster Kehle selbst. Sänger Gary Cherone (Ende der Neunziger zeitweilig auch Frontmann von Van Halen) gibt den wirbelnden Entertainer und schaut mit seinem Bandana ein bisschen aus wie eine Vollverklonung von Perry Farrell, Little Steven, Prince, Mick Jagger und einem Piraten; mit seinem Charisma und seinem Bewegungsdrang trägt und schiebt er durch die Show und ist ein echter Charakter und Blickfang ebenso wie Bettencourt.

Später folgen noch drei weitere unausweichliche Hits ihres Mega-Sellers, der in den zurückliegenden Jahren die Setlisten der Amerikaner stark vereinnahmte. Heute müssen viele Gassenhauer weichen: Selbstbewusste sieben Songs von Six sind im Programm, die sich ausgezeichnet einfügen. ›Other Side Of The Rainbow‹ bezirzt ohnehin schon mit allerhand Querverweisen zu den kunstvollen Queen-Verneigungen von III Sides To Every Story (1992), hier legen sie mit Reminiszenz an ›We Will Rock You‹ nach — die live stark swingende Riff-Keule ›Banshee‹ leiten Extreme mit einer weiteren Verbeugung vor ihrer Lieblingsband Queen ein und singen das A-capella-Intro von ›Fat Bottomed Girls‹.

Und immer wieder Bettencourt, dessen Instrumentaleinlagen — abseits des auf Platte einst von Dweezil Zappa gespielten ›Flight Of The Wounded Bumblebee‹ — nie zum Show-off verkommen, sondern mit irrem Groove immer auch für Nicht-Musiker Teil der Songs und mitnehmend bleiben. Besonders deutlich wird dies in dem Mega-Solo, das sich Bettencourt und Bassist Pat Badger zu ›Cupid’s Head‹ (III Sides To Every Story) auf dem Schlagzeug-Podest in bester Show-Manier entgegenfeuern.

Wer noch immer fabuliert, Extreme zehrten nur noch vom Ruhm von ›More Than Words‹, darf sich diesen Zahn von den Begleiterscheinungen des großen Finales ziehen lassen: Die Handykameras, die zu ›Rise‹ als letzter Zugabe auf Bettencourt gerichtet sind, übersteigen in der Anzahl die der ätzenden Hobby-Filmer bei der großen Hit-Ballade beträchtlich.

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