Ehre, wem Ehre gebührt: Nach der exzellenten Deluxe-Behandlung von Remember The Future (1973) gibt es nun eine ähnlich gelungene Aufarbeitung des zwei Jahre älteren Erstlings von Nektar, die im Deutschland der frühen Siebziger immer eine Obskurität geblieben sind. Zwar hat die 1969 in Hamburg gegründete Gruppe zweifellos ihren Platz in der Geschichte des Krautrock — dabei sind Roye Albrighton (Gitarre, Gesang), Derek „Mo“ Moore (Bass), Alan „Taff“ Freeman (Orgel) und Ron Howden (Schlagzeug) allesamt ins Exil geflüchtete Engländer. Remember The Future war ihr viertes Album: ein wunderbares Konzept-Werk über einen blauhäutigen und geflügelten Außerirdischen, der mit einem blinden Erdenjungen kommuniziert. Dessen Geschichte breitete sich in zwei Stücken auf zwei Albumseiten aus, steckte voller Prog-Stukturen und Melodien, ließ sich aufgrund der Heavy-Rock- und Jam-Grundierung aber nur sehr bedingt mit Bands wie Gentle Giant oder Genesis vergleichen — am ehesten mit den frühen Yes, die zumindest latent und unter dem Tarnumhang von Uriah Heep anzuklingen scheinen. Nicht zuletzt aufgrund seiner melodischen Stärke gelang Nektar mit Remember The Future schließlich der Durchbruch in den USA.
Mit dem psychedelisch überbordenden Journey To The Centre Of The Eye wäre der undenkbar gewesen. Es ist ein spannendes, narratives Psychedelic- und Progressive-Rock-Konzept-Opus mit raffinierten Übergängen und langen Jams, in denen immer wieder die frühen Pink Floyd nachzuhallen scheinen. Albrightons Gitarrenspiel lässt die exaltierte Wildheit von Jimi Hendrix anklingen; ihm entgegen wirkt Alan Freemans unverzerrte Orgel und das klangmalerisch eingesetzte Mellotron. Musikalisch folgt das Album der Geschichte, die auf ihm erzählt wird: Kurz vor dem Ausbruch eines Atomkriegs verlässt ein Astronaut die Erde, trifft auf seiner Reise in fremde Galaxien auf extraterrestrische Mächte und wird Zeuge der atomaren Zerstörung seines Heimatplaneten.
Fünf CDs und eine Blu-ray (mit von Ben Wiseman angefertigten neuen Surround- und Stereo-Mixen) beinhaltet dieses neue Set, die zur intensiven Beschäftigung mit Journey To The Centre Of The Eye und überhaupt der Frühphase von Nektar einladen. Der Neue Stereo-Mix bringt auch auf CD einen guten Hauch klarer Luft hinein in das Musikgeschehen. Spannender ist aber die offizielle Beigabe The Boston Tapes, die in dieser Klangbearbeitung richtig großen Spaß bereiten: Es handelt sich hierbei um Aufnahmen der Band, die 1970 in den USA stattfanden und für ein erstes Album gedacht waren, das letztlich nie erschien. Nektar befanden sich seinerzeit noch auf der Suche nach ihrer Sound-Vision und waren bei den Einspielungen in Boston nicht ansatzweise so psychedelisch veranlagt wie wenig später auf Journey To The Centre Of The Eye — die Direktheit ihres Spiels kommt in der Retrospektive dem später aus Live-Sessions gespeisten Album Sounds Like This erheblich näher; Procol Harum, Yes, die späten Beatles und Grateful Dead hatten hörbar Spuren in ihrem Orgel-Rock hinterlassen. Und wieder gibt es einen Konzertmitschnitt, diesmal stammt er aus der Bessunger Turnhalle in Darmstadt, wo Nektar am 13. November 1971 erst einen regulären Set und anschließend Journey To The Centre Of The Eye am Stück auf die Bühne brachten. Die Single ›Do You Believe in Magic?‹ mit ›1-2-3-4‹ auf der Rückseite gibt’s dazu: als CD-Tracks wie auch als Promo-Filmchen. Ganz schön aufregend, das alles.
Album: 8,5