Der Wechsel war absehbar: Candlemass-Bassist Leif Edling, der die Band vor fünf Jahren gegründet und mit ihr die Alben Avatarium (2013) und The Girl With The Raven Mask (2015) eingespielt hat, kämpft noch mit den Folgen eines Burnouts. Tourneen sind für ihn tabu, weshalb er sich selbst als »Klotz am Bein der Truppe« bezeichnet.
Der eingefleischte Black Sabbath-Anhänger hat zudem mit The Doomsday Kingdom eine Combo aus der Taufe gehoben, die kürzlich ihr bärenstarkes Debüt veröffentlichte. Auf sie fokussiert sich Edling derzeit neben sporadischen Auftritten mit Candlemass. »Wir haben Mats Rydström als festen Bassisten integriert, der uns schon 2016 bei einigen Konzerten ausgeholfen hat«, erklärt Sängerin Jennie-Ann Smith. »Aber Leifs Anteil an den neuen Songs ist nicht zu unterschätzen. Sechs der acht Stücke auf Hurricanes & Halos stammen aus seiner Feder, seine Kreativität ist einzigartig!«
Die beiden übrigen Songs, ›Road To Jerusalem‹ und ›When Breath Turns To Air‹, verfasste Smith mit ihrem Ehemann, dem Avatarium-Gitarristen Marcus Jidell. Auch sie tragen dazu bei, dass das dritte Bandalbum noch facettenreicher klingt als seine Vorgänger. Neben Classic-Rock-Ohrwürmern in der Tradition früher Deep Purple- und Uriah Heep-Kompositionen gibt es diesmal vermehrt Prog-Rock-Passagen zu entdecken.
Besonders das vielschichtige, mit orientalischen Klängen ausgeschmückte ›Road To Jerusalem‹ liegt der Sängerin am Herzen. »Jerusalem steht exemplarisch für viele Orte. Für mich ist es eine Metapher, die den Weg zur Selbstfindung beschreibt. Viele Menschen sprechen von Seelenheil, doch was ist das eigentlich? Der Text ist eine Art Selbstreflektion: Was mache ich in meinem Leben aus eigenem Antrieb heraus, was wird mir von anderen Leuten unterschwellig als mein eigener Wille aufgeschwatzt?«
Eine Thematik, mit der sich die Avatarium-Frontfrau auch in ihrem täglichen Berufsleben beschäftigt. Die 39-Jährige praktiziert in Stockholm als Psychotherapeutin und bildet sich daneben an der städtischen Universität auf diesem Gebiet weiter. Um den inneren Frieden ihrer Patienten wiederherzustellen, begibt sich Jennie-Ann Smith mit ihnen in die tiefen, dunklen Gänge der Vergangenheit.
Sie hilft beim Ausmisten geistiger Abgründe. »Zwischen diesem Job und meinem Dasein als Musikerin gibt es durchaus Parallelen«, schmunzelt die Blondine. »In beiden Situationen lernt man nie aus, muss kreativ sein und wird mit menschlichem Verhalten konfrontiert, von dem man normalerweise nicht einmal zu träumen wagt.«
Dass auch sie selbst im Studio Eigenheiten an den Tag legt, kehrt die Chanteuse nicht unter den Teppich. »Manchmal habe ich einen Dickschädel und beharre auf Dingen, über die sich andere wundern«, gibt Smith zu. »Den Song ›A Kiss (From The End Of The World)‹ wollte ich unbedingt frühmorgens einsingen. Zu dieser Tageszeit ist meine Stimme noch relativ belegt und hat genau diese verruchte Note, nach der das Stück verlangt. Als die Nummer im Kasten war, haben das auch die Herren in der Band verstanden.«
Dieser Text stammt aus ROCKS Nr. 59 (04/2017).