Golden Earring

Ohrringe aufgelöst

Nach sechzig ereignisreichen Karrierejahren haben sich die holländischen Rock-Dinosaurier Golden Earring aufgelöst. Die Entscheidung fiel, nachdem bei Gitarrist George Kooymans die Nervenkrankheit ALS diagnostiziert wurde.

»Das war der Todesstoß. Wir haben immer gesagt, wir machen so lange weiter, bis einer von uns umfällt«, so Barry Hay. Der 1948 in Indien geborene Sänger steht seit 1967 der legendären Truppe vor, der sechs Jahre später mit dem Überhit ›Radar Love‹ der internationale Durchbruch glückte. »Ich hätte nicht gedacht, dass es George zuerst trifft. Er war immer der Härteste von uns vieren. Manchmal philosophierten wir darüber, wer zuerst aufhören muss; Kooymans war immer am Ende dieser Liste. Es ist wirklich blöd, wir hätten gerne eine Abschiedstour gespielt. Aber es sieht wohl so aus, als ob unser letztes Konzert das im Jahr 2019 im Ahoy in Rotterdam war.«

Einen Ersatzmusiker lehnt auch Schlagzeuger Cesar Zuiderwijk kategorisch ab, der es bei Golden Earring auf immerhin 51 stolze Jahre bringt. »Wir sind eine Gruppe von vier Freunden, von denen keiner austauschbar ist. Das würde nicht funktionieren.«

1961 von Kooymans und dem ebenfalls bis heute aktiven Bassisten Rinus Gerritsen als The Tornados gegründet, feierten Golden Earring im Windschatten der British Invasion Achtungserfolge in ihrer Heimat. Ihre ersten beiden Scheiben Winter Harvest (1967) und Miracle Mirror (1968) blieben noch weitgehend unbeachtet.



Dann löst Hay Sänger Frans Krassenburg ab: Das Doppel-Album On The Double (1969) ließ mit Psychedelic- und Rhythm’n’Blues-Flair aufhorchen, ehe Trommler Sieb Warner, mit dem die Band erste US-Shows mit MC5, Led Zeppelin oder John Lee Hooker absolvierte, Jaap Eggermont ersetzte. Erst mit Cesar Zuiderwijk, der 1970 zur Band stieß, fanden Golden Earring ihre definitive Besetzung.

Hits wie ›Holy Holy Life‹, ›Buddy Joe‹ oder ›Stand By Me‹ und eine ausgedehnte Europa-Tournee im Vorprogramm von The Who sind die Wendepunkte ihrer Karriere. Das Hit-Album Moontan, das den Dauerbrenner ›Radar Love‹ enthält, der bis heute weltweit über 300 Mal gecovert wurde, öffnete ihnen die Türen zu prestigeträchtigen Spielstätten wie dem Madison Square Garden in New York, aber schon das nachfolgende Switch (1975) konnte den großen Erfolg nicht wiederholen.

Sechs Jahre später standen Golden Earring vor dem Aus, doch als das als Abschiedsalbum Cut unerwartet durch die Decke ging und ›Twilight Zone‹ ihren zweiten internationalen Hit abwarf, waren alle Pläne für die Auflösung vom Tisch. Im Laufe der sechs Jahrzehnte nahm die Band 25 Platten auf. Das letzte Studio-Album erschien 2012: Tits’n’Ass schafft es auf Platz eins der holländischen Charts.

 


Earring-Kuriosa!

1. Iron Maiden-Boss Steve Harris ist Mega-Fan, daher coverten die Eisernen Jungfrauen ›Kill Me (Ce Soir)‹ für ihre Maxi-Single ›Holy Smoke‹ (1990).

2. Im Hollywood-Film Frankie And Johnny (1991) tanzen Al Pacino und Michelle Pfeiffer zu ›The Devil Made Me Do It‹.

3. Die Besatzung des Space Shuttle Atlantis wurde am achten Tag ihrer 2007 gestarteten Mission STS-117 auf eigenen Wunsch mit ›Radar Love‹ geweckt.

4. ›Radar Love‹ ertönte in diversen Kinostreifen, Fernsehfilmen und TV-Serien, darunter Wayne’s World 2, Detroit Rock City, Manta — Der Film, den Tatort-Folgen Mord hinterm Deich und Blutdiamanten sowie zwei Episoden der Simpsons.

5. Es existieren über dreihundert Covers von ›Radar Love‹, darunter Versionen von White Lion, The Alarm, R.E.M., Santana, Airbag, King Diamond, Ministry und James Last.

6. Die erfolglose US-Präsidentschaftsbewerberin Hillary Clinton hat 2008 ›When The Lady Smiles‹ als Hymne ihrer Wahlkampagne gewählt. Ihr Gatte, der einstige Präsident Bill Clinton, hatte 1992 den besseren Riecher: Er setzte bei den Vorwahlen auf ›Radar Love‹.

 

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