Free

Fire And Water (1970)

Schlagzeug-Grooves, die Geschichten erzählen. Verspielte Bassläufe. Eine Ausnahmestimme, die Lust, Frust und Seelenschmerz nach außen krempelt und eine alles umgarnende Gitarre: Die 1968 gestarteten Heavy-Blueser Free hatten alles, was eine Band zur Weltkarriere braucht. Umso erstaunlicher, dass sie sich nicht richtig steuern ließ.

TEXT: DANIEL BÖHM

Das neue Jahr scheint es gut mit Free zu meinen: Im Januar 1970 nehmen sie ein Lied auf, das sie genauso wenig loslässt wie der kraftvolle Riff, der es trägt. ›All Right Now‹ hat das Zeug zum Hit, da sind sie sich sicher — doch letztlich wird viel mehr daraus.

Es ist der Song, der Sänger Paul Rodgers, Gitarrist Paul Kossoff, Bassist Andy Fraser und den schlaksigen Schlagzeuger Simon Kirke von jetzt auf gleich berühmt macht und finanziell gut stellt und einer Armada leidenschaftlich diskutierender Anhänger das Hauptargument für die Behauptung liefert, dass Free genauso gigantisch groß hätten werden müssen wie Led Zeppelin — die anderen stattlichen Heavy-Blueser jener Zeit.

Trotz etlicher Parallelen, die sich zumindest in der Frühphase beider Bands finden lassen (ganz genau beobachtet haben sie sich sowieso, wie nicht zuletzt das in Zeppelins ›How Many More Times‹ eingewobene Zitat von ›The Hunter‹ verdeutlicht, das Ende der Sechziger schon früh zum Repertoire von Free gehört und auf ihrem Debüt Tons Of Sobs einen Ehrenplatz einnimmt), hätten beide Bands wohl kaum unterschiedlicher sein können.



Als Led Zeppelin breitbeinig und laut das hart-aggressive Potenzial des Blues ausloteten und so in den Hardrock hineinrauschten, erschufen Free ihre Version des souldurchtränkten, fast introvertierten Heavy-Blues. Dass sie an ihrem jugendlichen Enthusiasmus und an den Folgen ihres schlagartigen Erfolgs verglühten, ist für Andy Fraser nur eine Erklärung dafür, dass Free das Rennen gegen Jimmy Page & Co. verloren haben. Wenn es denn überhaupt eins gegeben habe — fragte er in einem seiner letzten Interviews zurück.

»Natürlich ist die Frage interessant, was wir mit Free wohl hätten erreichen können, wenn wir länger durchgehalten hätten als die paar Jahre. Oder wenn wir älter gewesen wären — wir haben als Teenager auf der Bühne des Madison Square Garden in New York vor 20.000 schreienden Leuten gespielt. Oder wenn wir einen aggressiven Manager wie Peter Grant gehabt hätten. Nur was bringt es?«



Er habe eine viel einfachere Erklärung für das tragische Schicksal seiner früheren Band. »Free haben sich nicht plötzlich aufgelöst. Vom ersten Tag an gab es in Free ein ganz seltsames Selbstverständnis. Wir waren alle in derselben Mission unterwegs, kommuniziert haben wir über die Musik. Free waren ein Vibe, der geteilt wurde und der uns getragen hat. Die Band ist zerfallen, als wir in der Lage waren, unsere Ideen im Alleingang umzusetzen. Diskutiert und laut gestritten haben wir erst am Schluss. Wir haben einfach nicht mehr miteinander geredet. Das war viel schlimmer.«

Sagenhaft gut gerieten die ersten beiden Free-LPs Tons Of Sobs (1968) und Free (1969). Doch erst die Single ›All Right Now‹ macht aus der britischen Club-Band ein internationales Phänomen. Auf Fire And Water (1970) ist sie nur eine Perle unter sechs weiteren:



Nie klang die Gruppe um Meistersänger Paul Rodgers so kompakt, so tight und so funky. Nie genossen es der von Selbstzweifeln und depressiven Stimmungsschwankungen zerrissene Gitarrist Paul Kossoff, Bassist Andy Fraser und Schlagzeuger Simon Kirke mehr, sich in hypnotische Grooves fallen oder sich gemeinsam von tiefen Gefühlen überrollen zu lassen (›Heavy Load‹, ›Don’t Say You Love Me‹).

Auch wegen Kossoffs markant-ökonomischen Gitarrenspiels mit seinem heftigen, herzzerreißenden Vibrato ein Meisterwerk des bluesbetonten Hardrock. Noch im selben Jahr entsteht das ambitionierteste Werk der Gruppe: Künstlerisch wertvoll und mit überraschend filigranen Arrangements ausgestattet, gerät Highway kommerziell jedoch zu einem Reinfall. Vier Monate nach der Veröffentlichung löst sie sich ein erstes Mal auf.


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