Wytch Hazel

Die heilende Wirkung der Musik

Wytch Hazel verleiten zum Träumen: Auf dem von Harmonie beseelten IV: Sacrament flaniert das britische Quartett entlang der Pfade von Wishbone Ash und Thin Lizzy.

TEXT: PETER ENGELKING |FOTO: Sam Scott Hunter

Das Schmunzeln über ihre altertümlich anmutende Kleiderwahl ist längst der Bewunderung für das musikalische Selbstverständnis dieser Band gewichen. Die 2011 gegründeten Wytch Hazel inszenieren sich auf IV: Sacrament als Kundige des bodenständigen, folkdurchflossenen Hardrock der Siebziger, der so beseelt wie authentisch klingt, und den Preziosen ihrer Vorreiter in kaum etwas nachsteht. Das mentale Durcheinander, das Frontmann Colin Hendra vor der Entstehung des Albums durchlebte, ist den zehn neuen, oftmals von Zwillingsgitarren getragenen Songs nicht anzuhören.

»Die Zeit nach der Veröffentlichung unseres dritten Albums III: Pentecost war sonderbar«, rekapituliert der aus Lancaster stammende Musiker, der seit seinem sechsten Lebensjahr Schlagzeug spielt und erst im Teenageralter zur Gitarre wechselte. »Pandemie-bedingt konnten wir nicht auf die Bühne, um die Platte zu bewerben. Also habe ich mich anderweitig beschäftigt.«

Der 31-Jährige wollte Anfang 2021 ein Anliegen umsetzen, das ihm schon lange unter den Nägeln brannte: ein Album mit zeitgenössischer christlicher Musik. Die Arbeiten daran gestalteten sich indes schwierig. »Das Problem waren nicht die Songs«, so Hendra. »Die hatte ich recht zügig zusammen. Das Arbeiten auf Distanz, sich über den Bildschirm mit dem Produzenten kurzzuschließen und auf diesem Weg auch Gesangsaufnahmen anzugehen, war gar nicht meins. Darum haben wir dieses Projekt erneut auf Eis gelegt.«



Nachdem auch ein seit Längerem geplantes und parallel zur besagten Praise-and-Worship-Scheibe begonnenes Akustik-Album kaum in Gang kam, widmete sich Colin Hendra dem nächsten regulären Wytch Hazel-Werk. »Die Familie, meinen regulären Job und gleich mehrere musikalische Baustellen unter einen Hut zu bekommen, war ein Ding der Unmöglichkeit«, sagt der zweifache Familienvater. »Ich musste Ballast abwerfen, um voranzukommen. Erst als ich mich auf das Schreiben neuer Wytch Hazel-Songs fokussierte, kehrte die Gelassenheit zurück. Ich konnte aufatmen. Viele der Stücke, die auf IV: Sacrament gelandet sind, entstanden im Handumdrehen!«

Dass die von Gitarrist Alex Haslam, Bassist Andy Shackleton und dem zurückgekehrten Schlagzeuger Aaron Hay komplettierte Truppe ihre stilistischen Eckpunkte Hardrock und Folk jüngst stärker separiert, als dies ursprünglich der Fall war, sei dabei keine konzeptionelle Vorgabe gewesen, versichert Hendra. »Einen Plan sucht man bei mir meist vergebens, ich bin sehr chaotisch. Ein Großteil der Lieder entsteht intuitiv. Erst wenn fünf, sechs Stücke fertig sind, lasse ich mich von der Ratio leiten und schaue gezielt, welche Stilistik der Platte noch zur Vollkommenheit fehlt«, schmunzelt der Musiker, den das Iron Maiden-Album The Number Of The Beast einst mit dem Rock-Virus infizierte.

»Dass sich die Gewichtung aktuell mehr in Richtung Hardrock und melodiebetontem Metal verschoben hat, und mit ›Future Is Gold‹ nur ein Stück auf dem neuen Album ist, das sich komplett im Folk verliert, liegt daran, dass ich momentan wenig mittelalterliche Folkmusik höre. Einen Teil von mir ziehen diese Klänge nach wie vor magisch an, ein noch größerer Part ist derzeit aber im Reich von Thin Lizzy, Iron Maiden und Black Sabbath gefangen.

Hardrock hat etwas Formelhaftes, die Songs gehen mir gut von der Hand — das war in der turbulenten Entstehungszeit der Platte sicherlich auch ein Aspekt. Als unser Debüt Prelude entstand, waren wir Anfang, Mitte zwanzig. Wir lebten in den Tag hinein und hatten alle Zeit der Welt, Songs auszutüfteln. Das Komponieren von Folk-Stücken dauert hingegen meist länger, man muss bedächtiger vorgehen und stößt auf dem Gebiet schneller an seine Grenzen — zumindest trifft das auf mich zu.«



Colin Hendra hat die Gabe, dem Zuhörer mit seinen Kompositionen ein warmes Plätzchen zu bereiten. Eine Nische, in der sich abschalten und Kraft tanken lässt. Stücke wie ›A Thousand Years‹, ›Strong Heart‹ und ›Angel Of Light‹ fühlen sich an wie Klang gewordene Umarmungen. Lieder, die selbst in düsteren Zeiten positive Energie ausstrahlen.

»Unserer Band einen Namen zu geben, der sich auf die Virginische Zaubernuss bezieht, kam nicht von ungefähr«, erklärt der Gitarrist und Sänger. »Wir wollen mit unserer Musik eine ähnlich heilende Wirkung erzielen wie dieses Gewächs. Die Pandemie, die Kriege in der Ukraine und an vielen anderen Orten — es fällt nicht immer leicht, sich einen positiven Blick und seinen Glauben zu bewahren. Aber genau darin sehe ich meine Aufgabe: Jeder hat mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln die Möglichkeit, das Miteinander harmonischer zu gestalten. Also bündeln wir unsere Kraft in der Musik und versuchen, zu einem entspannteren Leben beizutragen.«

Der Bandkopf entstammt einem vom christlichen Glauben geprägtem Elternhaus, verbrachte in seiner Jugend viel Zeit im Gemeindehaus, wo er gemeinsam mit anderen Kids seine ersten musikalischen Gehversuche unternahm. Auch heute bedeuten Hendra christliche Werte und Spiritualität sehr viel, wohingegen er von »missionarischem Übereifer nichts hält«, wie er sagt.



»Jeder sollte den für sich passenden Weg im Leben selbst finden und nicht blindlings Vorgaben anderer folgen, die nicht seiner Überzeugung entsprechen. Ich kann mich nicht davon freisprechen, dass auch in mir ab und zu Zweifel aufkeimen. Mit ›Time And Doubt‹ und ›Digging Deeper‹ sind zwei Songs auf dem neuen Album, die sich mit dieser Skepsis beschäftigen. Man hinterfragt seinen Glauben, sucht nach Antworten und gelangt im besten Fall zu der Erkenntnis, dass man seine Bestimmung instinktiv richtig deutet und in ihr aufgeht. ›Future Is Gold‹ ist das Äquivalent zu diesen Stücken, das in biblischer Sicht darauf baut, dass alles gut wird. Darauf, dass alles seinen Zweck hat, auch wenn der sich für uns auf den ersten Blick nicht erschließt.«

Hinsichtlich ihrer Musik müssen Wytch Hazel nicht an sich zweifeln. Ausgehend von Prelude (2016) über II: Sojourn (2018) und III: Pentecost (2020) bis hin zum aktuellen IV: Sacrament hat das Quartett qualitative Beständigkeit an den Tag gelegt. Die Band zieht losgelöst von etwaigen Modeströmungen ihr Ding durch, das in die Kompositionen eingebrachte Herzblut pulsiert in jeder Note.

Marginale Veränderungen schwebten Hendra beim jüngsten Studioaufenthalt lediglich in Bezug auf die Produktion vor. Um noch »authentischer, bodenständiger und ein bisschen härter zu klingen«, begab sich die Truppe gemeinsam mit Produzent Ed Turner in ein spezielles Studio, wie der Wytch Hazel-Frontmann berichtet.



»Dabei handelt es sich um eine ehemalige Baptistenkapelle, wie es sie in Wales zuhauf gibt. Manche dieser Gebäude wurden zu Appartements umgebaut, dieses zu einem Studio. Das Equipment ist vom Feinsten, die für diese Arbeiten umgestalteten Räume ebenso. Ed und uns ist es dort gelungen, einen voluminösen Klang einzufangen. Das war mir wichtig. III: Pentecost ist ein großartiges Album, dem es rückblickend etwas am nötigen Druck mangelt. Dieses Manko konnten wir ausmerzen, auch wenn Ed uns während des knapp dreiwöchigen Aufenthalts ziemlich getriezt hat.«

Colin Hendra spielt auf IV: Sacrament nicht nur Gitarre, Orgel und singt, der gut aufgelegte Musiker ist ebenso am Schlagzeug zu hören. Für den Wytch Hazel-Gründer, der in jungen Jahren auf seinem Kit zu Golden Earring-Stücken übte, war es nach der Trennung von Drummer Jack Spencer der schnellste Weg ans Ziel. »Aaron Hay, der in der Gründungszeit schon zu Wytch Hazel gehörte, bot sich als Helfer in der Not an. Aber um ehrlich zu sein, war mir sein Spiel vor allem darum in Erinnerung geblieben, weil er nie den Takt halten konnte«, lacht Hendra.

»Er war stets viel zu schnell unterwegs und trieb alle anderen vor sich her. Also habe ich die Platte selbst eingetrommelt und mich erst danach mit Aarons Angebot auseinandergesetzt. Seit seinem Ausstieg 2014 hat er aber verdammt viel Boden gutgemacht und passt heute hervorragend zur Band. Willkommen zu Hause, Aaron!«


Dieser Text stammt aus ►ROCKS Nr. 95 (04/2023).

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