Sein natürlicher Umgang mit Einflüssen aus Rock, Blues, Folk und Jazz brachte spätestens in den frühen Siebzigern frischen Wind in die verkopfte Heavy-Blues-Szene — der Charakter, die Spielfreude und der musikalische Ausdruck des 1995 verstorbenen Gitarristen haben selbst Größen wie Jimi Hendrix, Eric Clapton oder Brian May zu dem irischen Volkshelden aufschauen lassen. Die posthume Aufarbeitung seines Nachlasses hat fernab einiger weniger Box-Sets bislang nur wenig Leuchtendes hervorgebracht.
Blues ist nun mit 36 zum allergrößten Teil tatsächlich noch ungehörten Aufnahmen die erste nennenswerte Themenwerkschau, die auf drei CDs und unterteilt in die Kapitel elektrisch, akustisch und live richtig üppig geraten ist. Schon der erste Rundling dokumentiert, wie kompromisslos und leidenschaftlich sich der Autodidakt vornehmlich dem Chicago- und Country-Blues verschrieben hat. ›Nothin’ But The Devil‹, ein unveröffentlichter Track aus den Sessions zu Against The Grain (1975), in bissigen Bluesrockern wie ›Don’t Start Me Talkin’‹ (hier in einer Fassung von 1982) schwingt immer die Energie des Hardrock mit. Die hier vertretenen Songs und alternativen Versionen von Stücken, die auf Alben wie Blueprint, Deuce oder Tattoo keine Verwendung fanden, sind alles andere als Ausschuss — ›As The Crow Flies‹ übertrifft sogar die letztlich für Irish Tour ’74 verwendete Fassung.
Ebenfalls vertreten sind Auszüge aus Lonnie Donegans Album Puttin’ On The Style, auf dem Gallagher 1978 gastierte, der mit Mandoline verzierte ›Leavin’ Town Blues‹ vom Tribut-Album Peter Green Songbook sowie in ›Are You Ready‹ ein Beitrag der London Sessions (1972) von Muddy Waters. Weshalb es dem Pionier des Chicago Blues nichts ausmachte, die halbe Nacht lang auf das Aufschlagen des trinkfesten Iren mit der verschlissenen Fender Stratocaster zu warten, macht die zweite CD mehr als deutlich. Auch ohne mannshohe Marshall-Türme nahm Gallagher die Menschen gefangen, der Blues war für ihn nicht einfach eine Musikrichtung, sondern etwas Lebendiges, Atmendes. Seele und Herzblut tropfen aus jedem seiner gespielten Töne — und ganz besonders aus seinen rauschend-atemberaubenden Slide-Schussfahrten (›I Could’ve Had Religion‹), von denen es auf Blues viele zu bewundern gibt. Sie stammen hauptsächlich von Radio- und TV-Sessions und Studio-Outtakes (etwa der 1973 entstandene ›Prison Blues‹).
Dass Gallagher aber erst auf der Bühne so richtig in seinem Element gewesen ist, dürfte die am wenigsten überraschende Erkenntnis sein, essenziell für seine Anhänger ist sie allemal. Denn wie schon Gitarren-Exzentriker Ritchie Blackmore anerkennend feststellte, hat der Ire ein Stück selten zweimal auf die gleiche Weise gespielt. Besonders beim losen Jam ›All Around Man‹ erweist er sich als Meister der Improvisation. Neben dem beim Rockpalast mitgeschnittenen ›Born Under A Bad Sign‹ mit Cream-Bassist Jack Bruce runden gerne gehörte Standards in frischen Versionen (›I Wonder Who‹ oder ›Messin’ With The Kid‹) den dritten Teil dieser über dreistündigen Werkschau ab. Die belegt vor allem, dass das musikalische Unikat trotz Werbens von Schwergewichten wie den Rolling Stones oder Deep Purple seinen Wurzeln immer treu geblieben ist. Auch das macht Rory Gallagher zu einer wahren Legende. Die Deluxe-Version von Blues enthält ein umfangreiches Booklet mit unveröffentlichten Fotos und ein Essay von Jas Obrecht.