Ronnie Atkins

Die Sonne im Herzen

Mit ungebrochener Inspiration und ansteckendem Lebenswillen trotzt Ronnie Atkins seit vier Jahren seiner Krebsdiagnose. Trinity ist das härteste seiner drei seither erschienenen Solo-Alben — und eins, das der Sänger der Pretty Maids eigentlich noch gar nicht machen wollte.

TEXT: MAXIMILIAN BLOM |FOTO: Tallee Savage

Es ist schwer, aus einem Gespräch mit Ronnie Atkins zu gehen, ohne die Sonne im Herzen zu spüren. Was einen vor dem Hintergrund seiner unheilbaren Tumorerkrankung einigermaßen verwirren kann. Mit einer bemerkenswerten und in sich ruhenden Positivität blickt der 58-Jährige auf das Leben — dass er in Folge seiner Immuntherapie aktuell an diversen chronischen Atemwegserkrankungen laboriert, hindert ihn kein bisschen daran.

»Ich bin sehr dankbar, noch immer hier zu sein! Kurz nach meiner Diagnose hatte ich mit Panikattacken zu kämpfen und große Angst davor zu sterben. Mittlerweile versuche ich, meinen Alltag so normal wie möglich weiterzuführen und Musik zu machen. Das gibt mir Halt. Andere Menschen in meiner Situation fangen plötzlich damit an, die Welt zu bereisen. Mich aber würde das nur stressen — außerdem hatte ich das Glück, in meinem Leben schon viel unterwegs gewesen zu sein.«

Nicht, dass es ihn nicht auch heute noch in die Welt hinauszieht: Im vergangenen Jahr war er mit Avantasia auf Festivaltournee in Europa unterwegs, im Sommer dann sogar mit dem Projekt in Südamerika. »Davon habe ich vor vier Jahren noch nicht mal zu träumen gewagt!«, strahlt Atkins. »Es war schön zu sehen, dass es möglich ist, auch wenn das Reisen natürlich anstrengend war. Aber mit Avantasia wohnen wir in sehr schönen Hotels, das macht es einfacher. Ich weiß nicht, ob ich mich heute noch fünf Wochen am Stück in einen Bus setzen würde.«



Rastlos ist er hingegen in kreativer Hinsicht: 2023 ist bereits das dritte Jahr in Folge, in dem er ein Album unter seinem eigenen Namen veröffentlicht — hinzu kommen zwei EPs, ein Gastbeitrag auf dem letzten Avantasia-Album A Paranormal Evening With The Moonflower Society sowie Animalistic (beide 2022) als die dritte Kollaboration mit Eclipse-Frontmann Erik Mårtensson unter dem Banner Nordic Union. Eine stattliche Schlagzahl, die den Sänger Ende letzten Jahres überlegen ließ, mit einer weiteren Veröffentlichung noch etwas zu warten. Letztendlich war es die Langeweile, die zur Entstehung von Trinity führte.

»Ich hatte eine unheimlich kreative Phase und dachte mir: Was soll ich sonst tun? Viele Kollegen meines Alters bringen nicht jedes Jahr ein Album heraus, denn zur Wahrheit gehört ja auch, dass man damit heute nicht mehr sonderlich viel Geld verdienen kann. Musik ist mein Leben und ich liebe es, neue Lieder entstehen zu lassen! Außerdem beschäftige ich mich so mit etwas Positivem, das tut mir gut. Deshalb ging alles auch so schnell: Die allermeiste Arbeit passierte im Frühjahr, bevor ich auf Tour fuhr, und gemischt ist das Album schon seit Mai.«



Anders als auf One Shot (2021) und Make It Count (2022) steht auf Trinity die Gitarre stärker im Mittelpunkt, was die Scheibe näher an das jüngere Schaffen der Pretty Maids rückt. Dadurch wirkt sie zwar härter, aggressiver ist sie aber nur punktuell: im sachte an Ozzy Osbourne erinnernden ›Ode To A Madman‹ etwa, das der bekennende »Nachrichten-Freak« Atkins über Wladimir Putin geschrieben hat.

Oder in ›Raining Fire‹, das das Leiden der Zivilbevölkerung im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine behandelt. Bemerkenswert ist erneut das Thema Vergänglichkeit, denn kaum jemand schafft es, sich damit so hoffnungsvoll zu beschäftigen wie er. Auch persönliche Beziehung spielen auf Trinity eine größere Rolle als zuvor: ›Sister Sinister‹ ist eine Abrechnung mit einem früheren Familienmitglied; besonders eindrücklich wirkt die Power-Ballade ›Soul Divine‹, die der stolze Großvater über seine Enkelin geschrieben hat.



»Einer meiner besten Freunde ist 2019 zu der Zeit Opa geworden, als ich meine Diagnose bekam. Damals dachte ich: Das werde ich niemals erleben. Als sie dann im September 2022 auf die Welt kam, war das ein wirklich wundervolles Erlebnis, für das ich sehr dankbar bin. Direkt danach habe ich das Lied geschrieben.«

Es scheinen Momente wie dieser zu sein, die Paul Christensen, wie Atkins bürgerlich heißt, Kraft einflößen. Immer wieder scheint durch, dass er nicht in Selbstmitleid baden will, sondern die guten Dinge nicht nur sieht, sondern diese geradezu sucht. Seine Erkrankung mag das forciert haben, ein neuer Charakterzug ist es nicht: Schon seit den späten achtziger Jahren engagiert sich Atkins in der Jugendarbeit, wie er mit einem Leuchten in den Augen erzählt.

»Ich bin in einer harten Gegend aufgewachsen. Natürlich nicht so schlimm wie einige Vorstädte in den USA, aber viele meiner Freunde kamen beispielsweise aus schwierigen Familienverhältnissen. Daran hatte sich dort auch später nicht viel geändert. Ich wollte den Jugendlichen positive Erlebnisse bescheren und ihnen zeigen, dass es möglich ist, seine Träume wahr werden zu lassen.«



»Also habe ich mit ihnen gemeinsam Musik gemacht und sie auf Ausflüge begleitet. Leute zum Spielen zusammenzubringen, hat mir große Freude bereitet, auch wenn mich einige für verrückt erklärt haben. Ich glaube, ich konnte wirklich für den einen oder anderen einen Unterschied machen. Vor allem fanden sie es aber schon ziemlich cool, dass der Sänger der Pretty Maids mit ihnen abgehangen hat.«

Heute widmet sich Atkins in seiner Freizeit nicht mehr den Teenagern, sondern den Kleinsten. In einem Kindergarten in der Nähe seines Wohnortes in Süd-Dänemark hilft er einige Stunden in der Woche aus. »Mehr geht nicht, denn die Kleinen sind wirklich sehr laut«, lacht er.

»Ein Kumpel, der dort arbeitet, hat mich dazu eingeladen. Ich möchte das so lange machen, wie es möglich ist. Es ist so ein großer Unterschied zu meiner Lebenswirklichkeit: Sie lernen jeden Tag etwas Neues und sprühen vor Positivität, Lebensfreude und Neugier. Das ist wirklich ansteckend. Und sie sagen immer wieder sehr lustige Dinge. Ich mag beinahe 60 sein, aber ich bin ein Kindskopf geblieben und kann mich gut darauf einlassen.«


Dieser Text stammt aus ►ROCKS Nr. 97 (06/2023).

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