Roger Daltrey

Thanks A Lot Mr. Kibblewhite — My Story

Henry Holt And Company (MacMillan Publishing Group)
VÖ: 2018

Tiefenentspannte Erzählungen aus erster Hand

Annähernd vier Jahre lang hat The Who-Frontmann Roger Daltrey an seiner Autobiografie gearbeitet, für ihn wichtige Ereignisse und Anekdoten sortiert, geprüft und geordnet und seine Erinnerungen in aller Ruhe zu Papier gebracht. Thanks A Lot Mr. Kibblewhite — My Story als „Memoiren“ zu bezeichnen, wäre aufgrund des eher überschaubaren Umfangs seiner Ausführungen mit gerade einmal gut zweihundert Seiten etwas überzogen — nicht wenige Veteranenkollegen mit vergleichbarem Rock-Gott-Status haben gerade in den letzten Jahren doch erheblich ausführlichere und tiefergehende Lebensbeichten drucken lassen. Was Daltreys „Geschichte“ nicht unbedingt schlechter macht, denn eine große Qualität seiner kurzweiligen Ausführungen ist ihre Authentizität. Wer in den vergangenen 54 Jahren noch nicht mitbekommen hat, dass es zu einem großen Teil die gegensätzlichen Persönlichkeiten von Pete Townshend und Roger Daltrey waren, die der Musik und dem Wesen wie auch der ganzen Geschichte von The Who zu ihrer knisternden Spannung verhalfen, kann viel aus dem Vergleich der Schreibstile der Autobiografien des Gitarristen und seines Sänger herauslesen: Während der fast schon leidend-kreative Pete Townshend in Who I Am eine vergleichsweise anspruchsvolle, fast literarische Ausdrucksweise pflegt, wählt Daltrey für seine Darstellung den entgegengesetzten Weg — und bleibt damit seiner geradlinigen Art treu. Das gilt auch für die Bereitschaft, über manche Erlebnisse und Begebenheiten seines Lebens (humorvoll) zu berichten, andere hingegen auszuklammern; aufdringlich, selbstherrlich oder exhibitionistisch ist dieses Buch ganz sicher nicht. Daltrey erzählt von seinen Eltern und den Umständen seiner Geburt am 1. März 1944 während der Bombenangriffe der deutschen Luftwaffe auf London und geht schnell über zu Ausführungen über seine einfache, glückliche Jugend als Kind der Nachkriegszeit. Als Teenager wird das Leben für ihn schwerer; der Rausschmiss aus der Schule lässt nicht lange auf sich warten. Von hier an nimmt das Buch ordentlich Fahrt auf: Es folgt eine schnelle, anekdotenreiche Schilderung der in seinem Leben am stärksten einschneidenden Erlebnisse und Begegnungen, ohne dabei zu viel Zeit auf analytische Tiefe zu verschwenden. Ob Who-Kenner aus der Lektüre viel Neues zur Bandgeschichte und der Beziehung der Musiker untereinander mitnehmen werden, ist zu bezweifeln — der Wert von Thanks A Lot Mr. Kibblewhite — My Story besteht darin, charismatische, völlig tiefenentspannte Erzählungen und Erinnerungen aus erster Hand zu liefern. Von Daltrey als Sänger und mikrofonschwingendem Frontmann von The Who (schwerpunktmäßig aus der Zeit von 1964 bis zum Tod von Schlagzeugmaschine Keith Moon 1978, aber auch darüber hinaus), genauso aber auch in seiner Rolle als Privatmensch, der seinem langen gemeinsamen Lebensweg mit Ehefrau Heather besonders viel Raum zugesteht. Man hätte gerne doppelt so lange darin gelesen.

Keine Wertung
TEXT: DANIEL BÖHM

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