Queen

Queen I (2CD Deluxe Edition)

EMI
VÖ: 2024

Leidensverwandte mit eigenem Kopf

Einen neuen Mix hätte das erste Album von Queen freilich nicht zwingend benötigt. Dennoch animiert er in seiner ausbalancierten Trennschärfe und der sehr behutsam durchgesetzten Klarheit zum gebannten Zuhören und lässt die Geschehnisse des Jahres 1973 lebendig werden. Noch mehr allerdings tun dies die vielen Session-Schlaglichter, die gerade in der großen Deluxe-Box zusammenkommen und dokumentieren, wie und mit welchem Elan die seinerzeit noch völlig unbekannten Queen im Studio ihre zunehmend überbordenden Ideen in Musik brachten. Behilflich war ihnen Roy Thomas Baker. Seine Karriere hatte er als Tonassistent an der Seite von Mike Vernon (Peter Greens Fleetwood Mac) und Tony Visconti (T.Rex) begonnen, ehe er 1972 als leitender Produzent die Aufnahmen der zweiten LP von Nazareth betreute — und zum ersten Mal auf die noch namenlose Band stieß, als diese im Auftrag eines Studiobetreibers die Akustik und die neu installierte Technikausrüstung auf Tauglichkeit testete. Die Aufnahmebänder durfte die Gruppe als Entlohnung behalten.

Fasziniert verfolgte Baker die Demo-Aufnahmen von ›Keep Yourself Alive‹ mit und entdeckte eine Art Leidensverwandtschaft mit den jungen Musikern. In ihnen hatte sich beißende Frustration darüber angestaut, dass sie ihre Ideen ohne fachmännische Unterstützung einfach nicht umzusetzen vermochten. Er wiederum sehnte sich danach, seine eigenen ausgefallenen Klang- und Produktionsvisionen auszuleben, ohne dass sich bis dato eine Chance dazu aufgetan hatte. Queen imponierten ihm aber auch musikalisch. »Ihre tragenden Melodien haben mich sofort gepackt«, erinnert sich Baker. »Bei Queen war der Gesang nicht bloß eine Singstimme. Er ist ein eigenes Instrument, mit dem komplexe Harmonien aufgebaut wurden. Auch über das Zusammenspiel mit der eigenwilligen Gitarre — ganz anders, als man es im damaligen Hardrock kannte. Das Debüt entstand aber unter denkbar ungünstigen Umständen, weil der Zeitdruck so immens war. Auf dem zweiten Album haben wir dann alles nachgeholt und uns künstlerisch im Rahmen der neuesten Studiotechnik vollkommen frei ausgelebt. Die Kritiker waren damals nicht sehr angetan von den Platten. Die erste war ihnen irgendwie egal, mit der zweiten kamen sie nicht klar, weil sie effektbeladen, nach Studio-Kunst und durch Chor- und Stimmarrangements immer ein bisschen überzeichnet klang. Aber als genau so ein Album wurde Queen II entworfen, genau das sollte die Platte sein.«

Bereits auf ihrem LP-Debüt Queen stellten sich Freddie Mercury, Brian May, Bassist John Deacon und Schlagzeuger Roger Taylor 1973 als knallharte und durch und durch originelle Hardrock-Band mit eigenem Kopf vor, deren auch an Sweet (›Modern Times Rock’n’Roll‹) geschulter Sound mit dramatischer Wucht immer wieder in die Welt des Pomp-Rock und — etwa im wunderbaren ›Doing All Right‹ — ohne Vorwarnung von sanften Streicheleinheiten in frühmetallische Härteextreme vorstieß. Ereignisreich und mit operettenhaften Spitzen lassen ›Great King Rat‹ und ›My Fairy King‹ erahnen, was Jahre später ›Bohemian Rhapsody‹ auf die Spitze treiben wird.

Wer vor der Anschaffung der Deluxe-Box zurückschreckt, in der auf sechs CDs neben den Session-Blitzern auch die ebenfalls neu gemischten De Lane Lea Demos sowie Live- und BBC-Material zusammengefasst wird, kann das Album im neuen Mix auch einzeln bekommen. Oder auch als Doppelpack mit zweitem Tonträger, der eine hübsche Work-in-Progress-Rekonstruktion von Queen I auf der Grundlage verschiedener Session-Fassungen enthält.

Album: 8,5

(9/10)
TEXT: DANIEL BÖHM

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