Michael Wagener

Karriereende einer Koryphäe

Produzentenikone Michael Wagener hat am 25. April, seinem 70. Geburtstag, sein Karriereende verkündet. Der gebürtige Wuppertaler will seinen Lebensabend mit Reisen verbringen.

»Ich bin seit über 50 Jahren im Musikgeschäft aktiv und ich denke, dass es an der Zeit ist, mal rauszukommen und einige Urlaube nachzuholen. Ich habe mein Studio bereits verkauft und Double Trouble Productions existiert nicht mehr als offizielle Firma«, so die 1984 in die USA umgesiedelte Mischpult-Koryphäe auf seiner Facebook-Seite. Die Produktionsfirma Double Trouble Productions hatte Wagener 1983 gemeinsam mit seinem Schulfreund Udo Dirkschneider gegründet und betrieb sie seit seinem Umzug in die Staaten alleine.

Mit Dirkschneider macht er in den ausgehenden Sechzigern auch seine ersten Gehversuche als Musiker. Gemeinsam gründen die beiden 1968 Band X, die sie quasi als letzte Tat Wageners mit der Truppe vor seinem Wehrdienst in Accept umbenennen. Der Kontakt reißt jedoch nie ab. Nach seiner Bundeswehrzeit findet er 1972 in der Hansestadt einen Job bei Stramp, einer kleinen Firma, die Studio- und Bühnentechnik herstellt. Von seinem Chef Peter Strüven lernt Wagener auch den Umgang mit Musikern — eine wichtige Lektion für seine spätere Laufbahn.

Ende 1979 lernt er einen Amerikaner namens Don Dokken kennen, der mit seiner frisch formierten Kapelle in Deutschland auf Tournee ist. Dieser lädt ihn nach Los Angeles ein. Nach einem Urlaubsaufenthalt beschließt er, umzusiedeln. Doch der Aufenthalt im sonnigen Kalifornien ist nicht von Dauer. Zwar bekommt er eine Anstellung in den Larrabee Sound Studios, aber der Verdienst reicht kaum, um die Lebenshaltungskosten in L.A. zu decken. Also geht er wieder zurück in die Heimat, nachdem ihm Udo Dirkschneider den Job als Konzertmischer für die gerade Fahrt aufnehmenden Accept angeboten hat. Als Ende 1980 die Aufnahmen für ihre dritte LP Breaker anstehen, geht Wagener mit ihnen ins Studio. Er fungiert unter Produzent Dirk Steffens als Toningenieur und Mischer.



 


Seinen Einstand als Produzent gibt er 1981 beim Dokken-Erstling Breaking The Chains, den die Formation in Deutschland einspielt, nachdem Accept-Managerin Gaby Hauke ihnen einen Plattendeal in der Alten Welt verschafft hat. Wagener besteht die Feuertaufe. 1982 verschafft ihm Accepts Meisterwerk Restless And Wild weitere Aufmerksamkeit. Im Studio von Scorpions-Producer Dieter Dierks ist er in jener Zeit auch für Gruppen wie die Plasmatics oder Warning zugange. All For One von Raven produziert er 1983 mit Udo Dirkschneider in London. Ab und an betätigt er sich zudem als Live-Mischer bei Rockpalast-Auftritten von Legenden wie U2, Joe Cocker oder Cheap Trick.

Von 1981 bis 1984 reist Michael Wagener regelmäßig in die Vereinigten Staaten. So erhält er die Möglichkeit, mit aufstrebenden Formationen wie Mötley Crüe und Great White zu arbeiten. Mit der Crüe geht er 1981 ins Studio, um deren in Eigenregie aufgenommenes Debüt Too Fast For Love abzumischen, das später im Auftrag von Elektra Records von Roy Thomas Baker aufpoliert wird. Für Great White produziert er die EP Out Of The Night und bald darauf ihre erste selbstbetitelte Langspielplatte, die 1984 bei EMI erscheint.

In jenem Jahr hat das Pendeln zwischen den Kontinenten ein Ende. Er erhält im Februar einen Anruf von A&R-Guru Tom Zutaut, der bei Elektra Records arbeitet. Zutaut bietet ihm an, eine Single (das Troggs-Cover ›Wild Thing‹) mit einer angesagten Punkband zu produzieren, die auf den Namen X hört. Zwei Wochen hat Wagener dafür in Amerika eingeplant. Da ›Wild Thing‹ gut ankommt, häufen sich jedoch plötzlich die Jobangebote. Dass Mötley Crüe mittlerweile Stars geworden sind, schadet ebenfalls nicht. Am Ende bleibt er für immer. Eine Zeit lang wohnt er in einem Haus mit Don Dokken, Ratt-Drummer Bobby Blotzer und Manager Alan Niven (Great White, Guns N’ Roses).



Den Sitz seiner Firma Double Trouble Productions verlegt Michael Wagener schon bald nach Los Angeles. Auch dank Dokken gelingt es ihm schnell, das Unternehmen zu etablieren. An ihrem ersten Platin-Erfolg Tooth And Nail arbeitet er unter Roy Thomas Baker und Tom Werman als Mischer. Baker, den Wagener für seine Alben mit Queen, Journey und Foreigner bewundert, wird für ihn zu einer wichtigen Inspiration. Den Nachleger zu Tooth And Nail betreut er für Dokken vom Chefsessel aus. Seine Hauptaufgabe: Die Streithähne Don Dokken und George Lynch ruhigzustellen. Lohn der Mühen: Under Lock And Key wird 1985 sein erster großer Wurf als Produzent in den USA.

Der endgültige Durchbruch folgt kurz darauf. 1986 mischt er zum einen den Poison-Einstand Look What The Cat Dragged In, der sich über drei Millionen Mal verkauft, und außerdem einen echten Metal-Klassiker: Master Of Puppets von Metallica. Wesentlich massentauglicher präsentiert sich nach einigen arg obskuren LPs der mittlerweile trockene Alice Cooper. Beim Pop-Metal-Opus Constrictor übernimmt Wagener neben dem Mix die Produktion von zwei Songs, darunter ›He’s Back (The Man Behind The Mask)‹. Das Lied landet auf dem Soundtrack des sechsten Teils der Horrorfilm-Reihe Freitag, der 13. und beschert dem Schockrocker den ersten kleineren Hit seit vielen Jahren. Coopers nächsten Rundling Raise Your Fist And Yell produziert der Deutsche komplett. Ein wirklicher Erfolg wird die brettharte Scheibe leider nicht.

Wesentlich besser schneidet Pride von White Lion ab, die in ›Wait‹ und der Ballade ›When The Children Cry‹ gleich zwei Lieder hoch in die Single-Charts schießen können. Auch beim Nachfolger Big Game steigt er ins Löwengehege. Die schönsten Erinnerungen verbindet er indes bis heute mit dem 1989 veröffentlichten Erstling von Skid Row. Nicht nur aufgrund des potenten Songmaterials mit Hits wie ›18 & Life‹ oder ›Youth Gone Wild‹, sondern auch, weil ihre Entstehung mit extrem viel Spaß verbunden war.



Einen in Stein gemeißelten Arbeitsablauf hatte er nie. Hin und wieder gibt es auch Formationen, mit denen er das Gros einer LP live aufnimmt. Saigon Kick waren so ein Fall. Als Atlantic Records ihn kontaktieren, besteht das Label darauf, Wagener zu einem Konzert einzuladen, anstatt ein Demoband zu verschicken. Nicht ohne Grund: Der Auftritt der jungen Truppe beeindruckt ihn schwer.

Auch Extreme seien tolle Musiker gewesen und extrem gut vorbereitet ins Studio gekommen. Das Resultat überzeugt nicht nur den Produzenten: Durch die Schmuseballade ›More Than Words‹ wird Pornograffitti 1990 zum bekanntesten Werk von Extreme. Deren Meistergitarrist Nuno Bettencourt ist im selben Jahr auch noch am ungewöhnlichsten Kapitel in Wageners Karriere beteiligt: Er spielt für einen Mix der Single ›Black Cat‹ von Janet Jackson, den der Deutsche anfertigt.

Zum Pop-Producer wird Michael Wagener dadurch nicht. 1991 ist er wieder mit Skid Row beschäftigt. Nicht zuletzt seine wuchtige Produktion trägt zur überraschenden Härte von Slave To The Grind bei. Obwohl längst nicht so massentauglich wie der Erstling, schafft es die Scheibe auf Platz eins der Billboard-Charts. Für die Greatest-Hits-Kopplung Decade Of Decadence von Mötley Crüe entstehen zwei Remixe von ›Live Wire‹ und ›Piece Of Your Action‹. Generell ist sich Wagener nie zu schade, lediglich als Mischer zu fungieren bei Scheiben, die von anderen produziert werden.

So auch bei Ozzy Osbournes No More Tears, das 1991 zu einem Multi-Platin-Triumph wird. Auch an Ozzys Doppel-LP Live & Loud und frühen Sessions für den Nachfolger zu No More Tears ist er beteiligt. Doch schon bald wird er von Michael Beinhorn abgelöst; Ozzmosis erscheint nach endlosem Herumwerkeln erst 1995. Stattdessen nehmen 1992 die Kirschkuchen-Könige Warrant seine Dienste in Anspruch, um sich für Dog Eat Dog wie Skid Row auf Slave To The Grind ein ungewohnt kerniges Klanggewand zurechtschneidern zu lassen.



In den frühen Neunzigern beschließt er, im Musikbusiness etwas kürzerzutreten. Er übernimmt zwar noch Jobs wie den Mix der umstrittenen Helloween-LP Chameleon (1993) oder die Produktion des Dokken-Comebacks Dysfunctional (1994), probiert sich aber fast zwei Jahre lang vor allem im Videobereich aus. Dann beginnt Wagener, den Fokus wieder in Richtung seines klassischen Betätigungsfeldes zu verschieben. Mehr und mehr kann er nun erneut Platten betreuen, die ihm zusagen.

So arbeitet er Ende 1995 zum ersten Mal seit einer Dekade mit Accept, bei denen inzwischen wieder Udo Dirkschneider ins Mikro kreischt. Predator entsteht in Nashville, wo Gitarrist Wolf Hoffmann wohnt. Wagener gefällt es in der Musikhochburg ausgesprochen gut. Also zieht er im Sommer 1996 hin. Er errichtet sein eigenes Studio WireWorld; zunächst auf Hoffmanns Farm, später im Gästehaus eines neugekauften Anwesens.

Die Ehre, das nagelneue WireWorld-Studio einzuweihen, wird noch 1996 den Japanern Outrage zuteil. Im März 1997 beginnen die Aufnahmen von Wolf Hoffmanns Soloscheibe Classical, auf der er Kompositionen von Beethoven bis Tschaikowsky auf der E-Gitarre interpretiert. Im Jahr darauf steuert Hoffmann ein Stück zu Bring ‘Em Bach Alive! bei, dem ersten Alleingang des ehemaligen Skid-Row-Vokalisten Sebastian Bach.



Weitere alte Bekannte schauen 1999 vorbei: Raven spielen in weniger als zwei Wochen One For All ein. Auch die schwedischen True-Metal-Senkrechtstarter Hammerfall fliegen für ihr Drittwerk Renegade (2000) extra nach Übersee. In der jüngeren Vergangenheit hat der Klangmeister Gruppen wie King’s X, The Rasmus und Fatal Smile unter die Arme gegriffen. 2006 produziert er bei Revolutions Per Minute erneut seine engen Freunde Skid Row.

Mit der Studioarbeit ist nun ebenso Schluss wie mit den Workshops für angehende Studioleute, die er in den vergangenen Jahren anbot. »Ich möchte mich an dieser Stelle bei euch allen Bedanken, die mir ein so großartiges Leben ermöglicht haben, in dem ich das tun konnte, was ich liebe. Ich freue mich auf eine Zukunft mit vielen Reisen; schon bis jetzt war es ein toller Trip«, schließt der Studiofachmann seine Ankündigung.

Danke für alles, alles Gute und viel Freude in den nächsten Jahren, Michael Wagener!


Ein ausführliches Produzenten-Special zur Karriere von Michael Wagener findet sich in ROCKS Nr. 20 (01/2011).

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