Michael Monroe

Vom Blitz getroffen

Niemand sonst verdrahtet sleazigen Rock'n'Roll, Hardrock, Punkrock und Power-Pop hymnischer miteinander als Michael Monroe. Sein neues Album One Man Gang wäre ohne Stiv Bators kaum möglich gewesen: Mit dem Mann aus Ohio, der mit den Dead Boys Rockgeschichte schrieb, verband Monroe eine innige Freundschaft. Nach dessen Tod zollte er ihm mehrfach Tribut —  auch auf The Spaghetti Incident? mit Guns N’ Roses.

TEXT: DANIEL BÖHM |FOTO: Bobby Nieminen

Es ist nicht die erste Mal, dass Michael Monroe auf einer Platte von Guns N’ Roses spielte. Bereits 1991 war der einstige Frontmann von Hanoi Rocks auf Use Your Illusion am Saxofon und an der Blues-Harp zu hören. Monroe schmunzelt bei dem Gedanken an ›Bad Obsession‹. Viel wichtiger sei ihm immer ihre Interpretation der Dead Boys-Nummer ›Ain’t It Fun‹ gewesen, die 1993 auf dem Coveralbum The Spaghetti Incident? festgehalten wurde — als Gesangsduett mit Axl Rose.

»Als wir das im Studio aufgenommen haben, kam es mir vor, als wäre Stiv bei uns im Raum. Mir hat sehr gefallen, dass der Song in unserer Version eine eigene Persönlichkeit entwickelt hat. Ich habe nie etwas für diesen Beitrag zu The Spaghetti Incident? haben wollen, nicht einen Cent. Ich habe Axl lediglich gebeten, die Zeile „In Memory Of Stiv Bators“ im Booklet abzudrucken, weil ich wusste, dass sich das Teil millionenfach verkaufen würde. Mir war es damals ein Bedürfnis, etwas zu tun, damit Stiv niemals in Vergessenheit geraten würde. Und diesen Wunsch hat Axl mir erfüllt.«



Die Ende der Siebziger in der florierenden US-Punk-Szene auftauchenden Dead Boys ziehen schnell auch den in Helsinki lebenden Matti Fagerholm in ihren Bann, der sich erst für das Debüt seiner Band Hanoi Rocks Bangkok Shocks, Saigon Shakes, Hanoi Rocks (1980) den Künstlernamen Michael Monroe zulegen wird.

Neben dem Charisma von Stiv Bators, der eigentlich Steven John Bator heißt und sich als Frontmann auf der Bühne so wild wie Iggy Pop gebärdet, haben es dem Teenager vor allem die Lieder der zweiten Dead Boys-LP We Have Come For Your Children (1978) angetan. »Sachen wie ›Ain’t It Fun‹, ›Son Of Sam‹ oder ›3rd Generation Nation‹ sind bei mir rund um die Uhr gelaufen!«

Mit Haut und Haaren verfällt er der Musik von Bators allerdings erst 1981. Als Monroe in Stockholm seinen 19. Geburtstag feiert, verzieht er sich mit einem Kumpel in einen Plattenladen, um die erste Solo-LP des Amerikaners anzutesten: Bis heute fasziniert Disconnected als Hybrid des energischen Punkrock der Dead Boys mit melodischen Pop-Einflüssen. »Ich hatte die Kopfhörer auf, und als der Gesang einsetze, war ich wie vom Blitz getroffen! Stiv hat auf dieser Scheibe geklungen, als wäre er von Dämonen besessen — dieser Typ war einfach rundum echt! In dem Moment habe ich eine spirituelle Verbindung zu ihm gefühlt, obwohl ich Stiv damals noch gar nicht kannte.«



Ein Jahr später begegnet Monroe seinem Helden dann ein erstes Mal in London, wo Bators wie auch Hanoi Rocks mittlerweile ihre Zelte aufgeschlagen hatten. Die beiden werden unzertrennlich und bleiben auch dann noch in Kontakt, als Bators mit Brian James (The Damned), Dave Tregunna (Sham 69) und Nick Turner (Barracudas) die Punk-Supergroup Lords Of The New Church anschiebt, während Monroe vor dem großen Rock'n'Roll-Durchbruch in den USA steht.

Mit ihrer glitzerndern Verquirling der Rolling Stones mit Aerosmith, New York Dolls und Mott The Hoople hatten Hanoi Rocks einen Vertrag mit einer großen Plattenfirma ergattert und für ihre fünfte LP im Studio wichtige Stützenhilfe von Produzent Bob Ezrin (Alice Cooper, Kiss, Pink Floyd) erhalten: 1984 veröffentlichen sie in Two Steps From The Move ihre härteste und musikalisch ausgereifteste Platte. Und auch ihre schicksalhafteste:

Als die zweite Singleauskopplung ›Underwater World‹ in die unteren Regionen der Charts vorstößt, soll eine Tournee durch Nordamerika den zarten Erfolg von Hanoi Rocks ausbauen. Tatsächlich aber bringt sie das vorzeitige Ende der Band — bedingt durch den Tod ihres Schlagzeugers Razzle, der in einem von Vince Neil (Mötley Crüe) im Suff verursachten Autounfall ums Leben kam. Zurück in London zieht der gelähmte Monroe bei Bators ein.



»Das war eine schwere Zeit, damals. Stiv hat mir sehr dabei geholfen, wieder auf die Füße zu kommen. Und er hat mir Selbstvertrauen für meine Solokarriere gegeben.«

Nach Monroes Umzug nach Amerika (seine Solokarriere kommt 1989 mit der zweiten LP Not Fakin' It in Fahrt) sehen sich die Freunde nur noch selten. Am 3. Juni 1990 wird Bators in Paris von einem Auto angefahren. Bevor der scheinbar unverletzte Musiker in einem Krankenhaus untersucht werden kann, begibt er sich nach Hause. Dort stirbt der 40-Jährige wenig später im Schlaf an den Folgen eines Schädel-Hirn-Traumas. Als Monroe davon erfährt, glaubt er zuerst, man wolle ihn veräppeln. »Schließlich hatte Stiv eine Vorliebe für rabenschwarzen Humor. Für mich ist eine Welt zusammengebrochen, als ich kapiert habe, dass es kein Spaß und Stiv tatsächlich tot war«.

1994 widmet Michael Monroe seinem verstorbenen Kumpel das selbstbetitelte Werk von Demolition 23, auf dem der Geist der Dead Boys in vielen Songs präsent ist. Die Schlussnummer ›Deadtime Stories‹ ist sein Abschiedsgeschenk an Bators. »In den Text habe ich jede Menge Songtitel von den Dead Boys und den Lords Of The New Church eingebaut. Bis heute ist das Stück etwas Besonderes für mich.«

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