Gerald Bostock ist zurück! Der Protagonist von Jethro Tulls Thick As A Brick tritt dieses Mal als Tourmanager auf, der im Buchladen des fiktiven Kaffs Linwell ein Manuskript des Amateur-Historikers Ernest T. Parritt in die Finger bekommt: ein Rundumschlag durch die britische Geschichte — mit Ausblick in die nahe Zukunft. Drumherum strickt Ian Anderson nun ein weiteres Konzeptalbum.
Dass die Musik darauf eine Geschlossenheit erreicht, wie sie auf Andersons Werken der vergangenen 20 Jahre so nicht zu hören war, ist eine der großen Leistungen von Homo Erraticus: Die Songs sind so griffig, dass sie auch für sich stehen können; den runden Eindruck verstärkt die Produktion, die kräftiger klingt als der Vorgänger und doch einen Anteil an nostalgischer Patina zulässt. In Florian Opahle hat er einen Gitarrenpartner gefunden, der ihm die fleischigen Riffs liefert. Zudem scheint das Gitarrenspiel des jungen Bayern die Flöten-Ekstase des Frontmanns zu befeuern, dessen Gesangsparts so clever geschrieben sind, dass die kaputte Stimme nicht unangenehm auffällt.
Homo Erraticus lässt die stilprägenden Elemente aller Jethro-Tull-Phasen aufblitzen und setzt sie in einen neuen Zusammenhang. Stagnation auf höchstem Niveau? Ja, aber gerade deshalb ist es das bestmögliche Album, das Ian Anderson an diesem Punkt seiner Karriere machen konnte. Denn im Experimentieren war er immer schlecht.
Hier ist alles drin: Harter Rock steht neben sakraler Feierlichkeit, die verspielte Leichtigkeit von ›Living In The Past‹ wird ebenso wiederbelebt wie das lange verschüttete Folk-Element und der schräge Humor von ›A Passion Play‹. Der abschließende Riff-Rocker ›Cold Dead Reckoning‹ ist das wohl hypnotischste Stück Musik, das Anderson in seiner Karriere besungen hat.