Die Nazgul waren in den Sechzigern auf dem besten Weg, in die Liga von Hendrix, Stones und Co. aufzusteigen. Doch das legendäre West Mesa-Konzert setzte ihrem Höhenflug ein brutales Ende: Vor zehntausenden Zuschauern erschoss ein Heckenschütze Frontmann Pat Hobbins. Ihr letztes Album Music To Wake The Dead erschien wenige Monate später. Ein Rock-Orkan ohne Band. Genau zehn Jahre danach wird der ehemalige Manager der Nazgul brutal ermordet. Die Polizei findet ihn auf seinem Schreibtisch, das Herz wurde ihm herausgerissen. Eine Szene wie aus einem der letzten Songs des Quartetts. Und der Musikjournalist Sandy Blair, der damals den Aufstieg der Nazgul begleitete, wittert eine große Story.
Den Namen George R.R. Martin dürften viele mit der Fantasy-Reihe Game Of Thrones assoziieren. Weniger populär aber mindestens ebenso lesenswert ist sein ursprünglich 1983 erschienener und 2014 erstmals ins Deutsche übersetzter Roman Armageddon Rock, den Stephen King als den »besten Roman über amerikanische Popkultur, den ich je gelesen habe« bezeichnete. Jahrzehnte nach der Erstveröffentlichung hat dieses Buch nichts von seiner Kraft eingebüßt.
Das Thriller-Element um den ermordeten Manager ist bloß das Vehikel, das Martin für eine nostalgische und vielschichtige Retrospektive der Rockszene der sechziger Jahre nutzt. Protagonist Sandy Blair unternimmt während seiner Recherche eine Reise quer durch die USA, entlang der früheren Tour-Routen der fiktiven Band. Er trifft Freunde von damals. Manche sind Hippies geblieben. Ein anderer scheffelt jetzt mit seiner Werbeagentur das große Geld. Und Sandy weiß gar nicht so wirklich, wo er sich selbst einordnen soll. Und wie es kam, dass er so schnell so alt geworden ist. Und so mutlos. Er hat ein paar mäßig erfolgreiche Romane geschrieben, lebt in einer festen Beziehung. Aber irgendwie fehlt ihm etwas.
Als dann plötzlich das große Comeback der Nazgul ansteht, ist er in der ersten Reihe mit dabei, macht die Pressearbeit und verzweifelt fast, während er die Proben der gealterten Rocker mit den angeknacksten Riesenegos beobachtet, bei denen einfach kein Funke mehr überspringen will, was längst nicht nur am halbgaren Ersatz für den toten Frontmann liegt.
Armageddon Rock hat viele Stärken. Eine davon ist es, eine fiktive Band zu erschaffen, samt fiktiver Songs und Konzerte, die Martin so greifbar beschreibt, dass man sie beim Lesen hören kann, ja, dass man sich auf bestimmte Songs sogar freut, wenn wieder ein Konzert losgeht. Aber auch die Musiker selbst, ihre Eigenheiten und Eskapaden, gemahnen an reale Vorbilder, und all das ist eingebettet in eine vielschichtige Handlung, die trotz des leider recht schwachen Finales überzeugt. Eine gelungene Melange aus Literatur und Musik von einem großen Erzähler.