Mavis Staples

We Get By

Anti
VÖ: 2019

Zeitlos und aufbauend

Ein bisschen schade ist es schon, dass Mavis Staples nach drei nicht bloß für ihren späten Karriereverlauf essenziellen Alben mit Jeff Tweedy (Wilco) den Kooperationspartner wechselte. Grämen muss sich trotzdem niemand. Denn Reiz bezieht diese erste vollständige Platte mit dem gute dreißig Jahre jüngeren Ben Harper schon alleine durch den ähnlichen soziokulturellen Hintergrund der Hauptakteure: Staples Karriereweg reicht weit zurück bis zu den Gospel- und Protestsongs der Zeit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, während Harper zu einer Ikone der amerikanischen Roots-Musik herangewachsen ist, als die er immer wieder andere Crossover zwischen klassischer Songwriter-Kunst, Rock, Southern-Soul, Funk, Blues, Gospel und auch Reggae vorlebt und mit kritischem Auge auf die Geschehnisse in seiner Heimat Amerika schaut.

Lediglich im Titelstück ist er neben Staples als Sänger zu hören. Ansonsten geht er vollständig in seiner Funktion als Songlieferant und Produzent auf, der die Grande Dame des Soul und Gospel auf We Get By unmittelbar in den Wirkungskontext ihres intimen Live-Ensembles setzt. Dort lässt Rick Holmstroms bissig seine Telecaster schnappen (›Stronger‹) oder mit brummendem Tremolo-Effekt wabern, und ein kleiner Chor verstärkt den Gospel-Faktor (›Sometimes‹). Das letzte eigene Album des Produzenten (No Mercy In This Land) klang zu weiten Teilen so, als würde der Ben Harper von heute eine alte Platte des Chicago-Blues nachempfinden. Auch We Get By hat durch ihn einen eigenen, sehr sparsamen Soundcharakter, der Vintage-Soul antäuscht, in Wahrheit aber bloß zeitlos ist und eine selten zu erlebende Tiefe hat. Man höre nur ›Never Needed Anyone‹, in dem Staples mit ihrer durchdringenden, gelegentlich brechenden Stimme zu zurückgenommener Begleitung von Klavier, Gitarre, Bass und Drums einen Gesangs- und Textvortrag intoniert, der schwer bewegt. Oder ›Heavy In My Mind‹ und ›Brothers And Sisters‹, in dem Ähnliches passiert. Nicht so frontal und aufgebracht wie If All I Was Was Black, das 2017 Swamp- und Rootsrock mit jeder Menge Soul, Blues- und Gospeltradition verpackte, dafür aber aufbauender.

(8/10)
TEXT: DANIEL BÖHM

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