Vanden Plas

Den Geist, den er rief

Die Fortsetzung ihres mit The Ghost Experiment — The Awakening gestarteten Paranormalkonzeptes offenbart neue Facetten der Progressive-Metaller aus Kaiserslautern. Vor allem wirkt Illumination wieder ein ganzes Stück kompakter als zuletzt.

Die Geschichte hinter den beiden Alben basiert auf einer tatsächlichen Begebenheit, auf die Andy Kuntz vor einigen Jahren stieß, dem sogenannten Philip-Experiment. Ein Forscherteam in Toronto wollte 1972 herausfinden, ob allein durch die Kraft der Gedanken der Geist einer fiktiven Person, die sie Philip nannten, heraufbeschworen werden kann — und damit nachweisen, dass Geisterscheinungen nur ein Produkt menschlicher Fantasie sind. Von dieser Geschichte ausgehend erschuf der Sänger seine Hauptperson Gideon Grace, die einen dramatischen Kampf gegen die Mächte der Finsternis führt.

Konzept-Alben dieser Art werden von Hörern ganz unterschiedlich rezipiert: Während manche sich in die Texte vergraben und darüber auch tatsächlich mit der Band kommunizieren, lassen sich andere von der Kraft der Musik einfangen. Für Kuntz, der als Texter nach eigenem Bekunden 2.000 bis 2.500 Stunden (»meist nachts«) in ein solches Werk investiert, sind die Texte wichtig, »und ich freue mich, wenn die Leute sagen: Das gefällt mir, oder ich kann es emotional nachvollziehen. Mir ist aber nicht nur das gesungene Wort als solches wichtig, sondern auch, was es an Gefühlen auslöst. Mir macht es nichts, wenn jemandem vollkommen egal ist, was ich sagen will, er aber findet, dass es gut klingt. Denn er spürt wahrscheinlich, dass ich daran glaube, was ich singe. Dann ist für mich die Mission schon erfüllt.«

Nachdem der erste Teil des Werks The Ghost Experiment — The Awakening, der diejenigen, die sich intensiver mit den Inhalten auseinandersetzen, mit einem Cliffhanger zurückließ, folgt nun im zweiten Teil Illumination die Auflösung. Dass die Geisterbeschwörung sich über zwei Alben erstrecken würde, war ursprünglich nicht beabsichtigt, aber »mir war diese Geistergeschichte wichtig. Als ich über dieses Experiment gestolpert bin, hat mich das dermaßen angefixt und interessiert, sodass der Fundus an Material viel größer wurde als das, was ich früher für Konzept-Alben benutzt habe. Und wir haben gemerkt, dass wir die ganze Gedankenwelt noch nicht ausgelebt hatten.«



Das Label war mit der Verlängerung einverstanden, und die Band konnte nach Abschluss des ersten Teils weiterarbeiten. Sie schaffte es gerade noch rechtzeitig vor dem ersten Lockdown im Frühjahr, das Gros des Materials für Illumination aufzunehmen. »Ich konnte noch vorher ins Studio, und die Band spielt — außer dem Schlagzeuger — eh von zu Hause einen ganz großen Teil ein. Erst am Ende, als wir noch zusätzliches Material brauchten, musste ich mir ein Heimstudio einrichten und habe dann von dort aus ein paar Sachen eingesungen. Aber mit der Technik von heute ist das eher ein kleines Problem.«

Technische Unterstützung leistete dabei ihr bewährter Produzent Markus Teske. Er stellte das nötige Equipment für Andy Kuntz zusammen, kommunizierte beim Aufbau via Video-Chat mit dem Sänger und leitete anschließend die Aufnahmen aus der Ferne. »Mein Heimstudio war dann wie der Aufnahmeraum hinter der Scheibe im richtigen Studio. Gut, direktes Feedback ist mir lieber, das war mir ein bisschen zu steril. Wenn ich Markus ins Gesicht gucke, dann weiß ich schon, ob es ein guter Take war, oder ob ich es nochmal singen soll. Das hat mir schon gefehlt. Aber wenn man das weiß, eröffnet das für die Zukunft auch neue Wege. Da könnte ich zu Hause noch bessere Bedingungen schaffen. Jetzt war das unter Zeitdruck das Bestmögliche. Wir wollten eben abliefern und den Rest noch in den Kasten kriegen.«

Das Album wird in seiner musikalischen Dramaturgie den erzählten Inhalten gerecht, etwa in mächtigen Hymnen wie ›When The World Is Falling‹ oder ›Under The Horizon‹, wie sie seit jeher ein Markenzeichen der Band sind. »Das kommt von mir. Ich suche immer die große Hymen, den absoluten Hook.« Manchmal bietet der Sänger mehrere Varianten an, danach beginnt der gemeinsame Entscheidungsprozess zusammen mit Gitarrist Stephan Lill und Keyboarder Günter Werno, den Hauptverantwortlichen für die Kompositionen. »Wir überprüfen uns dabei gegenseitig. Stefan hat ein sehr gutes Gespür für eine gute Gesangslinie. Beim ersten oder zweiten Hören spürt er schon, ob die greift oder nicht.«



Aber auch Ungewohntes ist auf dem neuen Album zu hören: ›Black Waltz Death‹ überrascht durch mysteriöse, finstere Chöre, durch den scharfen Kontrast leiser und lauter Teile und eine geradezu hypnotisch anmutende Steigerung in einem langen Instrumentalpart auf rhythmisch ungewöhnlicher Grundierung. Andy Kuntz gefällt das Bild scheinbar unendlicher Stufen, an deren Ende Erlösung wartet. »Ja, du steigst eine endlos lange Treppe hoch und du denkst, du kommst nie an. Und schließlich stehst du oben. Es ist wie bei einer Wanderung auf einen Zweitausendfünfhunderter, wenn du denkst, es kommt die letzte Kurve. Und irgendwann siehst du den Gipfel.

Die Chöre sind bewusst wie Carmina Burana gestaltet. Du würdest normalerweise bei einem solchen Chor auch einen schweren, heavy-treibenden Song hören, Beethoven heavy sozusagen. Aber wir haben mit 7/8-Rhythmen gearbeitet und es teilweise wie einen Walzer anmuten lassen, manchmal auch mittelalterliche Gefühle erweckt. Das steht als Kontrast komplett dagegen und ist trotzdem im Verbund mit den Gesangslinien so, dass es noch Vanden Plas ist. Ich finde, das ist einer der Songs der letzten Jahre, bei dem eine ganz große Bandbreite bedient wird und den man uns trotzdem als Band abkauft.«

Die musikalische Identität als Band, die Alben produziert und live spielt, unterscheidet sich von der Rolle, in die die Musiker bei ihrer Theaterarbeit schlüpfen. So bot beispielsweise die von Günter Werno, Stephan Lill und Andy Kuntz geschaffene Musik für die Rockoper Everyman, die im vergangenen Jahr mit großem Erfolg am Stadttheater Pforzheim aufgeführt wurde, eine aus dem Vollen schöpfende Mischung der Opulenz des Musicals, des Dramas der Oper, der Leichtigkeit des Jazz, pop-affiner Balladenseligkeit und der Härte des Heavy Metal.

»Wir sind auf der Theaterbühne — auch wenn das einige unserer Hardcore-Fans vielleicht nicht hören wollen — deutlich progressiver als in dem Genre, in dem wir uns als Band bewegen. Ich liebe es, so breitbandig fürs Theater schreiben zu können, aber ich würde es nicht unbedingt unter dem Banner Vanden Plas als Band tun. Da limitieren wir uns bewusst, und ich finde das auch richtig. Es muss zum Beispiel einen gewissen Härtegrad haben. Im Theater darf es dafür etwas edelkitschig sein, weil das ja auch optisch gefüllt wird. Das kann man ja mit einer Platte gar nicht bewirken.«

Was zur Vanden Plas-Musik gehört und was nicht, darüber sind sich die Musiker einig. Jeder Song, jede Melodie, jeder Riff durchläuft eine bandinterne Qualitätskontrolle. »Wir haben viel kompositorische Erfahrung gesammelt. Damit können wir einschätzen, was wir uns trauen können. Dieses Mal wollten wir bei einigen Songs wirklich an Grenzen gehen. Manchmal sagt man: Hier müssen wir ausdünnen, oder umgekehrt: Hier braucht es mehr.

Da ist jeder sehr kritisch mit sich selbst, und vor allem auch uneitel. Günter hat seit 15 Jahren eine Idee, die er immer wieder anbietet. Ich finde die richtig sensationell, aber er sagt immer: Nein, ich bin noch nicht überzeugt davon. Das hat bisher noch keinen Platz auf einer CD oder in einer Rockoper gefunden. Ich habe auch schon Refrains rausgeschmissen, von denen ich anfangs vollkommen überzeugt war, weil ich gemerkt habe, die passen nicht mehr zu dem Song. Und jeder von uns weiß, dass man dem anderen nichts wegnehmen will, wenn man Einwände hat, sondern dem Ganzen etwas geben.«


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Cover von ROCKS Nr. 104 (01/2025).