Während es die Alben der Ära von David Lee Roth immer mal wieder als Neueditionen auf CD und Schallplatte gab, wurde die kaum weniger imposante Schaffensphase von Van Halen mit Sänger Sammy Hagar lange ignoriert. Vor einigen Monaten gab es schließlich das Box-Set The Collection II, das neu gemasterte Ausgaben von 5150 (1986), OU812 (1988), For Unlawful Carnal Knowledge (1991) sowie Balance (1995) zusammenbrachte — und einen zusätzlichen Tonträger spendierte, der unter dem etwas übertriebenen Titel Studio Rarities Stücke versammelte, die nicht einheitlich auf allen Formaten der Originalalben enthalten waren oder auf Soundtracks (Twister) und auf Hit-Kopplungen (The Best Of Both Worlds) zugänglich sind.
Separat neu aufgelegt wurde 2024 zudem For Unlawful Carnal Knowledge, an dem sich die Plattenfirma Rhino bei der Konzeption des für den 15. August erwarteten Balance orientierte. Zu erwarten ist demnach keine „Deluxe Edition“ sondern eine „Expanded Edition“. Ein feiner Unterschied.
Erhältlich ist das zehnte Van Halen-Album als Doppel-CD, als Doppel-Vinyl in unterschiedlichen Farben sowie als Box-Set, das zudem eine Blu-ray mit Video-Clips und einem Live-Stück enthält. Schick sind die acht 1995 in Wembley aufgezeichneten Konzert-Nummern, die als Audio-Mitschnitt beiliegen und ledigich bei der Doppel-LP fehlen. Chronistisch sinnvoll aber durch die Redundanz wenig aufregend sind dagegen der einstige Japan-Bonus ›Crossing Over‹ sowie die Twister-Beiträge ›Humans Being‹ und ›Respect The Wind‹, die unter anderem auch schon die Studio Rarities-CD von The Collection II bevölkerten. Das Vinyl-Master und die Songaufteilung auf den drei Plattenseiten plus Etching auf der vierten entspricht der guten Pressung, die bereits jener Box beilag.
Die beeindruckende Kompaktheit von For Unlawful Carnal Knowledge konnten Van Halen vier Jahre später mit Balance nicht wiederholen. Das erst in der Abkürzung „F.U.C.K.“ verschmitzt die amerikanische Sittenwacht provozierende Album geriet zum stimmigsten und besten Werk der Hagar-Ära und zugleich zu ihrem härtesten — nach den beiden poppig aufpolierten und sehr Synthie-freundlichen Vorgängern 1991 eine Wohltat. Ein ganzes Jahr lang hatten sie mit Andy Johns an der Platte gefeilt (erst ganz zum Schluss wurde Ted Templeman als weiterer Produzent hinzugerufen), der darauf die Rhythmusgruppe in wuchtvoller Anlehnung an Led Zeppelin inszenierte und Alex Van Halen ein Denkmal setzte, der nicht nur in ›Pleasure Dome‹ die Schlagzeugperformance seines Lebens konservierte. ›Judgement Day‹ peitscht wie kaum eine andere Van Halen-Nummer. Und in ›The Dream Is Over‹, ›Right Now‹ und ›Top Of The World‹ offenbart sich einmal mehr die große Kunst, geistreichen Hardrock für die Massen zu schreiben.
Das Stimmige und Kompakte mag dem in eine neue Musik-Ära hineingeborenen Nachfolger etwas abgehen. Gleichwohl ist Balance ein bemerkenswertes Album, auf dem die besten Klangelemente der beiden Vorgängerwerke zusammenlaufen und in einem schwebenden und geradezu monströsen Stereo-Soundspektakel erstrahlen, für das Kanadier Bruce Fairbairn die Verantwortung übernahm. Die verspürte auch der durch eine verlorene Wette mittlerweile kurzhaarige Eddie Van Halen gegenüber seinem 1991 geborenen Sohn Wolfgang: Während der Arbeit an Balance hatte der Gitarrist seiner Alkoholkrankheit den Kampf erklärt. Beeindruckend sind die düster eingefärbten und enorm wuchtigen Groove-Göttlichkeiten ›The Seventh Seal‹, ›Don’t Tell Me (What Love Can Do)‹, das Instrumental ›Baluchitherium‹ und ›Feelin’‹.
Das Bündnis mit Sammy Hagar hatte bereits Risse, ein Jahr nach der Veröffentlichung zerbrach es. Nicht nur deshalb hat der Sänger heute ein gespaltenes Verhältnis zu seinem letzten vollwertigen Album mit der Band — erst 2004 kehrte er für drei neue Songs der Greatest-Hits-Kompilation The Best Of Both Worlds und eine Tournee kurzzeitig zu Van Halen zurück, ehe 2007 schließlich doch noch die Reunion mit David Lee Roth erfolgte. »Mir fehlt auf dem Album ein bisschen die Leichtigkeit und der Fokus, wenn ich ehrlich bin«, überlegt er. »Es war keine unbeschwerte Zeit mehr, das war der große Unterschied zu 5150, als ich zu Van Halen stieß. Der Zank ist zurückgekommen. Ich glaube, dass dies auch mit dem Tod unseres lieben Managers Ed Leffler zu tun hatte, der immer sehr gut auf uns aufgepasst hat. Als er das nicht mehr konnte, hat sich sofort die Plattenfirma mit ihren Anwälten auf uns gestürzt, um ihre Interessen durchzusetzen und uns zu lenken. Gleichzeitig wollte Alex uns als Manager führen. Und Eddie hatte sowieso immer eine besondere Position. Das konnte so nicht gut gehen.«
Die Expanded Edition von Balance erscheint am 15. August.