Nestor, Velveteen Queen

Ein Hochamt tanzbarer Neon-Rock-Nostalgie

Mit Leidenschaft, vor allem aber mit unverschämt mitreißenden Songs haben Nestor einen kaum für möglich gehaltenen Trubel um sich selbst ausgelöst. Drei Jahre nach ihrem gefeierten Debüt Kids In A Ghost Town ist das schwedische Gespann mit seinem frischen, gleichwohl zutiefst nostalgischen Spätachtziger-Melodic-Hardrock erstmals in Kontinentaleuropa auf Tour.

Schon im Vorfeld zeichnete sich ein Erfolg ab: Die meisten Auftritte waren bereits vor Beginn der Rundreise ausverkauft. Und auch heute kann Nestor-Frontmann Tobias Gustavsson von der Bühne der rund 800 Menschen fassenden Matrix ein volles Haus verkünden.

Auf dieser stehen zunächst Velveteen Queen. Die schwedischen Jungspunde mit Gitarrist Lukas Axx, Sohn des Swedish Erotica-Musikers Magnus, zeigten sich schon auf ihrem Debütalbum Consequence Of The City (2024) als große Fans der frühen Guns N’ Roses. Auch ihr Bühnengebaren ist von den Kaliforniern beeinflusst — glücklicherweise ausschließlich von den positiven Aspekten. Diven-Gehabe oder Streitereien gibt es nicht, wohl aber ungemeine Spielfreude, musikalische Finesse und Spaß am zeitlos coolen Bühnenhabitus der Hardrock-Größen. Gleichzeitig wirkt der Auftritt auf beste Weise abgeklärt. Man darf durchaus gespannt sein, wohin sich das auf der Bühne um einen Bassisten erweiterte Quartett mit seinem nächsten Studio-Werk entwickelt, das noch vor dem Sommer 2025 erscheinen soll; am heutigen Abend haben sie sich in jedem Fall eine Wagenladung neuer Fans erspielt.

Sollte die brechend volle Matrix nicht schon Indiz genug sein, ist spätestens ab dem von vielen mitgesprochenen Intro ›The Law Of Jante‹ klar, dass dieser Auftritt für Nestor nicht weniger als ein Triumphzug werden wird. Die einst als Schülerband gegründete Truppe schafft es spielend, die jugendliche Freude ihrer Songs auf die Bühne zu transferieren. Mit dem im Grunde ausgesprochen kitschigen Image der Kleinstadtjungs, die mit 35 Jahren Verspätung doch noch ihren Rockstar-Traum leben, spielt die Band dabei nicht nur in ihren Texten. Auch in den ausführlichen Ansagen kommt Gustavsson immer wieder darauf zu sprechen. 

Zu hohlen Phrase verkommt das aber nicht: Man nimmt es der Formation vorbehaltlos ab, wenn sie mit dem Wissen um die eigene Lebensrealität wahlweise mit Melancholie oder Freude auf die eigene Jugend zurückblickt und sich wie eben jene Halbwüchsigen auf der Bühne über den herzlichen Zuspruch freut. Der ganz nebenbei zeigt, dass sie das Publikum in der beschriebenen Gefühlswelt abzuholen scheint.

Im Vergleich zu ihren Festival-Konzerten in den letzten zwei Jahren können sie mit den Songs von Teenage Rebel (2024) nun ein komplettes Headliner-Set füllen, ohne auf Cover-Versionen zurückgreifen zu müssen. Beide Platten füllen je eine Hälfte des Programms; den umjubelten Abschluss bilden ›On The Run‹, das vor drei Jahren den Nestor-Hype lostrat, ›Teenage Rebel‹ und ›1989‹ — passender kann dieses Hochamt der tanzbaren Neon-Rock-Nostalgie nicht enden.


Dieser Text stammt aus ► ROCKS Nr. 104 (01/2025)

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