Journey

Eclipse

Frontiers
VÖ: 2011

Mal ganz ohne Lipgloss

Man wage einfach mal ein Experiment und beginne mit Titel zwei, ›Edge Of The Moment‹, und stelle sich dabei vor, Ian Gillan würde das singen. Na? Geht doch! Was nicht heißen soll, dass Arnel Pineda plötzlich singt wie Gillan. Aber: Die Kalifornier Journey haben nach dem überflüssigen Stillstand-Album Revelation offenbar beschlossen, erwachsen zu werden und mehr zu tun, als den Soundtrack der ewigen Liebe zu liefern, die von der Highschool und Petting auf dem Rücksitz mit der akkurat fönfrisierten Dame bis zum Häuschen mit Vorgarten und penibel geschnittenem Rasen und zwei adretten Kindern reicht.

Die größte Überraschung ist nämlich Arnel Pineda. In den ersten drei Songs, allesamt unterbrettert von den heftigsten Riffs des Neal Schon seit Jahren, will der philippinische Vokalist offenbar beweisen: Ich bin eben doch nicht Steve Perry. Der Mann entwickelt Identität, gibt einem härteren Sound Gesicht und Stimme — Hut ab dafür. Schon zeigt unterdessen in ›Chain Of Love‹, dass er ein paar Akkordfolgen kennt, die auch Jimmy Page sicher gern erfunden hätte.

Wenn dann bei ›Tantra‹ zum ersten Mal das Bedürfnis hörbar wird, den Journey-Freunden der balladesken Gewichtsklasse Honig ums Ohr zu schmieren, dann passiert das auf so unkitschige Art wie selten. Denn auch hier gilt: Weg vom einfachen Strophe-Chorus-Strophe-Schema, hin zu epischer Breite mit Raum für „richtige“ Gitarrensoli. Und Raum, Liedern die Luft zum Atmen zu geben, zum Aufbau einer inneren Spannung, ohne dass immer gleich mit fetten und vorhersehbaren Refrains geklotzt werden muss: ›Resonate‹ etwa schleicht sich ins Ohr und entwickelt sich bei mehrmaligem Hören zum Monolith gepflegter Dramaturgie.

In ›Human Feel‹ lässt Jonathan Cain auf einen Jungle-Groove gar eine archaische Schweineorgel brüllen. Wer auf Neues gespannt ist, kann danach eigentlich den CD-Player abstellen. Gegen Ende gibt’s dann doch noch ein Viertelstündchen lang Rückfälle in bekannte Muster; die sind solide, aber wenig spannend.

(8/10)

ROCKS PRÄSENTIERT

DAS AKTUELLE HEFT

Cover von ROCKS Nr. 102 (05/2024).