Gotthard

Einfach die Geschichte erzählen

Mit Stereo Crush korrigieren Gotthard den Kurs des zahnlosen Vorgängers und geben sich wieder rockiger und rifforientierter. Zudem überrascht nach rund 25 Jahren die erneute Zusammenarbeit mit ihrem einstigen Mentor, Songwriter und Produzenten Chris von Rohr.

TEXT: MARTIN RÖMPP |FOTO: Manuel Schütz

Fünf Jahre sind seit dem nicht unbedingt geliebten Album #13 vergangen, auf dem sich Gotthard auf weiter Strecke als zu bieder, glatt und unspektakulär präsentierten. Kritik will Gitarrist Leo Leoni an dem Album nicht üben, stellt aber klar, dass der eigene Anspruch der Hardrocker beim jüngsten Studiogang ein anderer war. »Es gab ein paar Dinge, die wir ändern wollten«, erklärt der Bandgründer. »Das neue Material sollte direkter sein, weniger kompliziert und durchdacht. Mir gefällt #13 aber nach wie vor sehr gut. Wir haben darauf zwar nicht gerade Progressive Rock gemacht, wollten womöglich aber ein bisschen zu clever vorgehen und haben den straighteren Ansatz etwas aus den Augen verloren, der Gotthard eigentlich immer sehr gut getan hat. Diesmal hauen wir schon zum Einstieg mit ›AI & I‹ einen sehr klassischen Riff raus, wobei der Wechsel zwischen den tiefen, gesprochenen Strophen und dem Refrain dann doch eher ungewöhnlich für uns ist. Die Idee dahinter war, dass dieser Kerl im Song sich mit der künstlichen Intelligenz seines Computers unterhält, und wir wissen ja alle, wie deutlich man sich da ausdrücken muss, um von der Maschine halbwegs verstanden zu werden.«

Ohne Umwege ins Ohr geht auch ›Thunder & Lightning‹ — ein perfekt arrangierter Hit mit beeindruckendem Refrain, der sich vor den Großtaten der Gotthard-Historie nicht zu verstecken braucht, die alle aus den frühen Neunzigern stammen.



»Ich finde auch, dass die Nummer einen gewissen Achtziger- und frühen Neunziger-Vibe hat und deshalb am ehesten an unsere ersten Alben erinnert«, erklärt Leoni, der ein Gitarrensolo bei diesem Lied nach einigen Jam-Versuchen mit Kollege Freddy Scherer bewusst weggelassen hat. »Wir haben uns irgendwann beide angeschaut und gewusst, dass dieses Extra hier nicht nötig war. Oft kann ein gutes Solo ein Stück aufwerten, aber manchmal willst du einfach die Geschichte erzählen, ohne diesen Break im Song zu haben. Ähnlich war es auch bei ›Boom Boom‹. Aber niemand muss sich Sorgen machen, es sind noch genügend Gitarren auf dem Album vorhanden!«

Schon seit ›Mountain Mama‹ von Gotthards zweiter Scheibe Dial Hard (1994) hat sich der Einsatz der Talkbox zu einem Markenzeichen Leonis entwickelt, das auch bei neuen Stücken wie ›Rusty Rose‹ und ›Boom Boom‹ zum Einsatz kommt. »Peter Frampton hat diesen Effekt in den Siebzigern populär gemacht und ich war immer völlig begeistert, wie er seine Gitarre so zum Sprechen bringen konnte«, erinnert sich der 58-Jährige. »Durch die Talkbox bekomme ich als Gitarrist eine ganz neue Möglichkeit, mich auszudrücken — das war damals ein echter Wow-Faktor für mich. Deshalb nutze ich auch schamlos jede Gelegenheit aus, diese Kiste in unseren Songs unterzubringen, sofern es zum jeweiligen Stück eben passt.«



Eine weitere Gotthard-Tradition stellen die obligatorischen Coverversionen dar, die auf vielen Alben der Eidgenossen zu finden sind. Waren Nummern wie das von Joe South geschriebene und durch Deep Purple groß gewordene ›Hush‹ oder der von Manfred Mann verbreitete Dylan-Song ›Mighty Quinn‹ in den Anfangsjahren hilfreich, um etwa auf Festivals neue Zuhörer anzulocken, hat der Nutzen dieser Neuinterpretationen mit den Jahrzehnten sicher abgenommen. Geradezu fragwürdig erscheint das Abba-Cover ›SOS‹ auf #13. Was Gotthard aber nicht davon abhält, auf Stereo Crush zum zweiten Mal nach ›Come Together‹ mit ›Drive My Car‹ einen Beatles-Klassiker zu vertonen.

»Brauchen wir das? Sicher nicht. Macht es trotzdem Spaß? Darauf kannst du wetten!«, lacht Leoni, der das Songwriter-Duo Lennon/McCartney zu seinen großen Vorbildern zählt. »Man kann solche Lieder nicht besser machen, aber wir wandeln sie trotzdem zu Stücken um, die in unseren Gotthard-Sound passen. Für mich ist das einfach eine Hommage an die Künstler und Songs, die mich schon in jungen Jahren begeistert haben. Ich will Musik nicht nur nach Marketinganalysen zusammenbauen, sondern einfach Freude daran haben.«



In der ersten Dekade der Bandgeschichte war die Schweizer Rocklegende Chris von Rohr (Krokus) als Produzent und Songwriter untrennbar mit dem steilen Aufstieg Gotthards verbunden. Nach dem Erfolgsalbum Homerun (2001) kam es zum Bruch: Seither haben beide Lager nicht mit Kritik an der jeweiligen Gegenseite gespart, was zuletzt in der Dokumentation One Life, One Soul (2017) sichtbar wurde. Dass sich nach fast einem Vierteljahrhundert nun mit ›Liverpool‹ ein neues Stück auf Stereo Crush befindet, das Leoni und von Rohr gemeinsam verfasst haben, kommt für den Außenstehenden einigermaßen unerwartet. Die Annäherung an sich sei ein längerer Prozess gewesen, erklärt der Gitarrist.

»Wir stehen schon seit ein paar Jahren wieder in Kontakt und haben dadurch unsere Freundschaft wieder ein wenig aufbauen können. Dass wir noch einmal auf kreativer Ebene zusammenzuarbeiten wollten, stand immer wieder im Raum. Irgendwann habe ich ihn angerufen und bei einem folgenden Treffen versucht, wieder eine Basis dafür zu finden. Chris hat den Titel ›Liverpool‹ in den Raum geworfen, und genau das hat es für uns auf den Punkt gebracht. Denn egal, wie unterschiedlich unsere Meinung in Sachen Musik oft war und ist, die Beatles haben als gemeinsamer Nenner immer funktioniert. So ist dieser coole Rock’n’Roll-Song entstanden, der ein wenig auf die tolle Zeit zurückblickt, die wir zusammen hatten«, bilanziert ein versöhnlicher Leonie.

»Wichtig ist, dass wir uns heute wieder in die Augen schauen und die Hände reichen können. So ist das Leben: Egal welche Probleme man untereinander hat, am Ende muss man sich vergeben können. Letztendlich hat jeder von uns damals versucht, das Beste für Gotthard zu geben, auch wenn unsere Meinungen irgendwann komplett auseinandergelaufen sind. So ist das manchmal. Auch im Fußball müssen Teams ab und zu den Trainer wechseln, um neue Impulse zu erhalten. Wir wissen genau, dass uns Chris am Anfang sehr geholfen hat, und das werden wir ihm auch nie vergessen. Aber ich denke, wir haben auch nach dieser Zeit noch großartige Platten gemacht, die es auch ohne seinen Input an die Spitze der Charts geschafft haben. Beides anzuerkennen ist eine Sache des gegenseitigen Respekts.«



Dieser Text stammt aus ROCKS Nr. 105 (02/2025).

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