Accept

Aufhören ist keine Option (Teil 2)

In turbulenten Zeiten veröffentlichen Accept ihr erstes Album ohne Gründungsmitglied Peter Baltes. Auf Too Mean To Die betont Bandmotor Wolf Hoffmann einmal mehr die klassischen Markenzeichen der in den frühen Siebzigern einst in Solingen gegründeten Heavy Metal-Legende.

TEXT: MARTIN RÖMPP |FOTO: PR

Der allabendliche Kick

Ein Leben abseits der Musik, wie es Hoffmann schon einmal während einer Schaffenspause von Accept als professioneller Fotograf geführt hat, kann sich der inzwischen 61-Jährige heute nicht mehr vorstellen. »Natürlich gibt es andere kreative Wege, um mein Dasein zu gestalten, aber das gibt mir nicht die gleiche Befriedigung wie Songs zu schreiben und sie im Studio einzuspielen. Den Kick, den ich abends auf der Bühne erlebe, kann ich mir sonst nirgends abholen.«

»Viele Kollegen beklagen sich ja gerne darüber, wie anstrengend ihr Leben sei mit der vielen Reiserei und den endlosen Wartezeiten zwischen den Shows. Aber die sollten mal zum Vergleich einen anderen Job ausüben, der um ein Vielfaches mehr Stress mit sich bringt, aber keine geilen Höhepunkte liefert. Ich habe beides gemacht und weiß jetzt, dass ich als Musiker nie in Rente gehen will. Aufhören ist keine Option!«

Bei allen bisherigen Alben war Peter Baltes der erste Ansprechpartner für Hoffmann, wenn es um die Ausarbeitung seiner Songideen ging. Die Herausforderung, es diesmal ohne seinen langjährigen Kumpel und Vertrauten zu schaffen, hat den Gitarristen spürbar angetrieben. »Natürlich habe ich ihn vermisst, doch anstatt das groß zu analysieren, habe ich mich hingesetzt und einfach losgelegt.«



In Neu-Bassist Martin Motnik, der als gebürtiger Pfälzer schon seit vielen Jahren in Nashville lebt, hatte Hoffmann schnell einen neuen Ideengeber an seiner Seite. »Martin hat einige richtig gute Sachen beigesteuert und Mark kam auch mit tollen Ideen an. Insgesamt habe ich zwar mehr gemacht als sonst, aber die ganze Situation hat uns noch näher zusammenrücken lassen.«

Mit Philip Shouse haben Accept inzwischen einen dritten Gitarristen in ihren Reihen, der bislang vor allem Kiss-Anhängern als Bühnenunterstützung von Ace Frehley und Gene Simmons aufgefallen ist. Die Frage, ob eine derart auf sein eigenes Spiel ausgerichtete Band wie Accept wirklich zwei zusätzliche Sechssaiter benötigt, wischt Hoffmann mit voller Überzeugung vom Tisch.

»Phil hatten wir bei der Orchestertour dabei — das ist ein Hammertyp, mit dem ich mich auf Anhieb so gut verstanden habe, dass ich ihn unbedingt in der Band haben wollte. Aber Uwe Lulis wollte ich deshalb nicht gehen lassen. Zu dritt können wir ein paar Sachen machen, die bisher nicht umsetzbar waren, und bei doppelstimmigen Leads auch eine Rhythmusgitarre drunterpacken. In Südamerika haben wir vor Corona schon einige Shows zu sechst gespielt, die richtig viel Spaß gemacht haben.«



Neue Ideen im alten Gewand

Auf Too Mean To Die bleiben sich Accept treu und versuchen erst gar nicht, das Rad neu zu erfinden. Dass etwa die Einstiegsnummer ›Zombie Apocalypse‹ mehr nach Birmingham als Solingen klingt, ist für Wolf Hoffmann kein Problem. »Bewusst geplant ist sowas nie, aber wir haben schon seit unseren Anfangstagen Einflüsse von Judas Priest oder AC/DC in unserem Sound verarbeitet, und das ist auch okay so. Jeder Musiker bastelt sich doch seinen Stil aus den Bands zusammen, die er selbst gut findet.«

Besonders das von einem melodischen Groove und typischen Chören geprägte ›Overnight Sensation‹ ist dagegen ein Accept-Kracher erste Güte, der auch perfekt auf frühe Alben der Band gepasst hätte. Als Antwort an all jene, die nach dem gravierenden Besetzungswechsel mit besonders scharfem Blick auf Accept schauen, sieht Hoffmann das Stück jedoch nicht.



»Ach, das lässt sich doch so wenig steuern, wie sich bewusst ein Hit schreiben lässt«, erklärt der Gitarrist. »Mein Motto ist immer, dass ich Stücke schreiben will, die mir auch vor dreißig Jahren schon hätten einfallen können. Wir wollen uns nicht verändern, sondern nur neue Ideen im alten Stil umsetzen. Auch mit ›The Best Is Yet To Come‹ bin ich in dieser Hinsicht sehr glücklich.«

»Mark trägt diesen Song mit seiner Performance, der Mann kann mich immer wieder mit seiner Flexibilität begeistern. Meiner Meinung nach macht der Gesang sowieso rund achtzig Prozent eines Stückes aus. Klar, ich bilde mir gerne ein, dass mein Solo auch wichtig ist, aber erst wenn du einen Sänger hast, der einem Song überzeugend Leben einhaucht, werden die Menschen darauf anspringen.«

Als Gitarrist zählt Wolf Hoffmann zu den Größen seiner Zunft und wird von namhaften Kollegen wie Kirk Hammett (Metallica) oder Alex Skolnick (Testament) als wichtiger Einfluss genannt. Seine Beethoven-Adaption beim 1985er Klassiker ›Metal Heart‹ ist Legende, und auch ›Symphony Of Pain‹ greift erneut ein populäres Thema des vor 250 Jahren geborenen Komponisten auf.



»Beethoven ist ein Gigant, den ich dank meines Elternhauses schon seit frühester Kindheit mit mir herumschleppe. Ich habe mir sagen lassen, dass ich schon als zarter Knabe im Schullandheim meinen Mitschülern gehörig auf den Sack gegangen bin, weil ich ständig ›Für Elise‹ auf meiner Wandergitarre geklimpert habe.«

»In meinen Zwanzigern habe ich mich dann ernsthaft mit Beethoven und Tschaikowski befasst. Es gibt so viele zeitlose Melodien, die Jahrhunderte überdauert haben und sich mit ihrem Wiedererkennungswert auch gut im Metal nutzen lassen«, weiß der inzwischen in Florida residierende Hoffmann, der seiner langjährigen Wahlheimat Nashville kürzlich den Rücken gekehrt hat. Zu voll ist es ihm in der Country-Hochburg geworden, die dem einstigen Musik-Mekka Los Angeles längst den Rang abgelaufen hat.



»Mit einem Bein bin ich immer noch in Nashville, weil wir dort unser Studio haben. Aber seit die Stadt so überfüllt ist, hat der Verkehr zu- und die Lebensqualität abgenommen. Für mich macht es keinen großen Unterschied mehr, wo ich wohne — in normalen Zeiten bin ich als Musiker sowieso ständig unterwegs, entweder auf Tour oder im Studio. Es gibt ja heute kaum noch Bands, bei denen alle Mitglieder um die Ecke wohnen — das war bei mir nur zu Teenagerzeiten normal.«

Mehr als die Hälfte seines Lebens hat Hoffmann in dem Land verbracht, das er 1984 mit Accept im Vorprogramm von Kiss erstmals bereisen konnte. »Mich hat sofort begeistert, dass die Amerikaner das Entertainment und die Musik als ernstzunehmenden Beruf sahen, der zu einem umsatzträchtigen Industriezweig gehört.«

»In Deutschland steckte dieses Geschäft damals noch in den Kinderschuhen, als Musiker wurdest du meistens belächelt und nicht für voll genommen. Ständig wurde ich gefragt, was ich eigentlich gelernt habe und was ich später mal machen will. In Amerika warst du dagegen als Künstler hoch angesehen, die Branche sehr professionell entwickelt und man konnte monatelang auf Tournee gehen. Alle Welt hat versucht, dort Fuß zu fassen, und ich habe diesen Schritt nie bereut.«


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