Procol Harum

Broken Barricades

Esoteric
VÖ: 2019

Kunstrock mit bluesigem Feuer

Organist Matthew Fisher war ausgestiegen, Gitarrist Robin Trower im Begriff, eine Solokarriere zu starten. 1971 war kein leichtes Jahr für die zum Quartett geschrumpften britischen Art-Rocker. Dass ihr fünftes Album Broken Barricades bei aller Schlichtheit keineswegs eindimensional ausgefallen ist, liegt neben Trowers engagierten Solokünsten und seiner psychedelischen Verbeugung vor seinem Idol Jimi Hendrix in ›Song For A Dreamer‹ vor allem an gelungenen Kompositionen wie den organischen Bluesrockern ›Memorial Drive‹ und ›Simple Sister‹. Ganz verschwunden ist der Hang zur Opulenz indessen nicht, wie das schwelgerische ›Luskus Delph‹ oder der Synthie-schwangere Titelsong belegen, denen das exzellente Remastering der Neuauflage besonders zugutekommt. Und die erfährt durch zwei zusätzliche CDs mit 36 fast durchweg unveröffentlichten Bonus-Stücken auch einen beträchtlichen Mehrwert.

Welch außergewöhnlich gute und trotz des Umbruchs einzigartige Live-Band Procol Harum zu jener Zeit waren, beweist ein zwei Monate vor Veröffentlichung des Albums mitgeschnittener Auftritt aus New York, eine der letzten existierenden Aufnahmen mit dem scheidenden Gitarristen. Es sind vor allem dessen feurige Einlagen und der soulige Gesang von Bandoberhaupt Gary Brooker, die in den obligatorischen Hits wie ›A Salty Dog‹ oder ›Shine On Brightly‹ oder auch in Liedern aus der zweiten Reihe wie ›Still There’ll Be More‹ oder der wundersamen Ballade ›Nothing That I Didn’t Know‹ überaus starke Akzente setzen und die fehlende Hymne ›A Whiter Shade Of Pale‹ erst gar nicht vermissen lassen. Wirklich kompensieren, das wird in diesen Aufnahmen mehr als deutlich, konnten Procol Harum den Ausstieg des exzentrischen Gitarren-Genies nicht.

Die erweiterte Deluxe-Ausgabe enthält darüber hinaus noch zwei Radio-Shows vom Oktober 1971 mit Trowers Nachfolger Dave Ball, umfangreiche Begleittexte und Kommentare der Bandmitglieder Trower, Brooker und Keith Reid sowie ein ausführliches Essay von Roland Clare.

(8/10)
TEXT: MARKUS BARO

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