Motorpsycho

Kingdom Of Oblivion

Stickman
VÖ: 2021

Lange Nase im Psychedelic-Rausch

Es geht Schlag auf Schlag bei Motorpsycho. Erst im August schlossen die Norweger ihre aus The Tower (2017), The Crucible (2019) und The All Is One (2020) bestehende Album-Trilogie ab — ein gutes halbes Jahr später haben sie bereits die nächsten siebzig spannenden Musik-Minuten auf Platte gebracht. Bei der ersten in Augenscheinnahme scheint der stilistische Cut gewaltig zu sein: Auf Kingdom Of Oblivion hat alles Platz gefunden, was schon die drei Vorgänger als psychedelische Heavy-Prog-Schmankerl so unwiderstehlich machte. Hat man sich ein bisschen besser orientiert, sticht die veränderte Schwerpunktlegung umso deutlicher heraus.

Gleich das zweiteilige Eröffnungsstück ›The Waning‹, fällt deutlich weniger schwer und monumental aus und tänzelt in seiner psychedelischen Melodieseligkeit den ganzen ereignisreichen Weg von The Tower zurück bis Heavy Metal Fruit (2010). Auch der folgende Titelsong lässt verspieltere Melodien und einen ganz erheblich ausgebauten Jam-Faktor zu, während sich Motorpsycho in ›Lady May‹ den Mystic-Folk von Led Zeppelin zu eigen machen und mit ihren typischen, an Yes und CSN&Y geschulten Satzgesängen ausschmücken: Geheimnisvoll umspielen sich Bass und Gitarren und verweben sich zu einem feinen Klangnetz, in dem klingelnde Tastensounds und Streicher zu entdecken sind — ganz am Schluss intensivieren sich die Saitenimprovisationen zu einem dicknebligen Psychedelic-Rausch mit Indien-Flair.

In beiden Nummern ist Gitarrist Reine Fiske (Dungeon, Elephant9) als Gast zu hören, der mit Motorpsycho die Alben Still Life With Eggplant und Behind The Sun einspielte. Und auch im Highlight ›The United Debased‹ ist er mit dabei, das sie heavy und wogend angehen und das nicht nur im Gitarrenthema ein bisschen daran erinnert, wie Gov’t Mule ›Eternity’s Breath‹ vom Mahavishnu Orchestra interpretieren — gepaart mit einem verlangsamten Deep Purple-Swing, den die Norweger zum Schluss hin gegen Black Sabbath eintauschen.

Groß ist auch ›Dream Killer‹, das als verträumte West-Coast-Psychedelia beginnt und sich den Weg aus der Klanginstallation heraussucht, zu der sie zuvor Motörheads ›The Watcher‹ umgebaut haben, und urplötzlich in einem Feuerball aus harten, rhythmischen Gitarren und Mellotron-Streichern aufgeht. Ein letztes Mal ist Fiske in ›The Transmutation Of Cosmoctopus Lurker‹ zu hören: ein zehnminütiger Jam- und Heavy-Prog-Ausritt der bedrohlich-psychedelischen Sorte, in der die Rhythmusgruppe geradezu entfesselt aufspielt, die Gitarren zaubern und Motorpsycho unisono Kollegen wie Opeth die lange Nase drehen. Was für eine Band!

(9/10)
TEXT: DANIEL BÖHM

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