Savatage

Edge Of Thorns (1993)

1993 stehen bei Savatage die Zeichen auf Umbruch: Die Florida-Metaller veröffentlichen mit Edge Of Thorns ihr erstes Album mit einem neuen Sänger — und müssen kurz darauf den Tod ihres Meistergitarristen Criss Oliva verkraften.

TEXT: DANIEL BÖHM

Nur wenige Bands haben den Heavy Metal leidenschaftlicher mit künstlerischer Substanz ausgekleidet als diese einzigartige Truppe aus Tampa, Florida. Und das vor allem nach ihrer so folgenschweren Begegnung mit dem Produzenten und baldigen Kreativpartner Paul O’Neill, unter dessen Leitung 1987 zunächst das enorme Album Hall Of The Mountain King entstand, das als Scharnierwerk die frühen US-Metal-Savatage mit dem Bombast von Queen und der Kunst des modernen Broadway-Musicals verband, die die Musik der Gruppe immer stärker durchdringen und befruchten sollten.



In Streets – A Rock Opera ließen sie zum dritten Mal in Folge eine Platte entstehen, bei der man gar nicht anders kann, als sie als eines der gehaltvollsten, intelligentesten und schlicht besten melodischen Heavy-Metal-Alben aller Zeiten zu verehren. Nach dieser in sich geschlossenen Rock-Oper mit musikalischem Storytelling, die die Geschichte vom Aufstieg des Dealers DT Jesus zum Rockstar, seinen Absturz in Drogensucht und Gosse vertonte, musste schließlich auch Jon Oliva anerkennen, dass seine Stimme nicht mehr mitmachte.

In großer Sorge hatte Paul O’Neill nun schon länger den zunehmend außer Kontrolle geratenen Alkohol- und Drogen-Konsum des Sängers beobachtet: Er überzeugt Oliva davon, sich eine regenerative Auszeit von Savatage und den Verlockungen des Lebens auf Tournee zu nehmen und in einem ein geregelten Arbeitsumfeld ein schon länger geplantes Broadway-Rock-Musical über die Zarenfamilie und die Russische Revolution (Romanow — When Kings Must Whisper) zu komponieren.



In der Zwischenzeit sollten Savatage von seinem Gitarre spielenden Bruder Criss weitergeführt werden — mit einem neuen Hauptsänger, den Jon Oliva später als Mann im Bühnenhintergrund unterstützen soll.

Für ihn rückte Zak Stevens nach, der mit seiner angenehm charismatischen und virtuos geschulten Stimme entscheidend dabei half, O’Neills durchaus in der Tradition von Andrew Lloyd Webber stehende Kompositionskunst in erhabenen, hochambitionierten Hardrock und Heavy Metal zu übersetzen.



Edge Of Thorns enthält die letzten Aufnahmen des meisterlichen Gitarristen Criss Oliva, der bei einem fremdverschuldeten Autounfall am 17. Oktober 1993 getötet wurde. Er ist es, der in melodischen und eher ursprünglichen Sava-Schönheiten wie ›Damien‹, ›Lights Out‹ und ›He Carves His Stone‹ mit schneidenden Riffs und schmucken Soli die Akzente setzt, während Neuling Stevens das Titellied und die balladesken Stücke dominiert.

Nicht von dieser Welt sind ›Follow Me‹ und vor allem ›All That I Bleed‹ — letztere Nummer ist mit einer dramatisch inszenierten Melodiepracht gesegnet, die am ehesten an Webbers Phantom der Oper erinnert.


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