Ståle Storløkken gehört seit mehr als zwei Jahrzehnten zu den prominentesten Vertretern des norwegischen Jazzrock — auch wenn er genauso gern mit Kraut- Heavy- und Prog-Rock, experimenteller Elektronik und neuerdings auch mit instrumentalen Werken für die Kirchenorgel hantiert. In Bands wie Supersilent, Humcrush, Elephant9 oder als Gast bei Motorpsycho hat der Keyboarder progressive Musikgeschichte geschrieben. Dabei gerät ein wenig in Vergessenheit, dass seine Kariere in den neunziger Jahren an der Seite des Gitarristen Terje Rypdal begann, mit dem er mehrere Alben einspielte. Doch wer ist Terje Rypdal?
Wenn von großen Jazzrock-Gitarristen der siebziger und achtziger Jahre die Rede ist, fallen schnell Namen wie John McLaughlin, Larry Coryell, Al Di Meola oder Pat Metheny. In diese Reihe gehört auch Rypdal. Der Gitarrist mit dem himmelstürmenden Ton, der nicht selten an eine Geige oder ein Cello erinnert, begann ursprünglich als Rockmusiker, gehörte aber 1968 zur jungen nordischen Jazz-Avantgarde um Saxofonist Jan Garbarek, die das internationale Jazzgeschehen nachhaltig umkrempeln sollte.
Er nahm grandiose Alben mit den ehemaligen Miles Davis- und Weather Report-Mitstreitern Miroslaw Vitous und Jack De Johnette auf und arbeitete mehrfach zusammenmit der norwegischen Hardrock-Legende Ronni Le Tekrø (TNT). Rypdal versteht sich auf einen unfassbaren Reichtum spontan erdachter Melodien. Aufgrund von gesundheitlichen Problemen wurde es in den letzten Jahren allerdings sehr still um den mittlerweile 77-Jährigen.
Bis Ståle Storløkken ihn anrief. »Wir wollten ein paar Konzerte geben, um unser letztes Album Mythical River zu promoten«, erinnert sich der Keyboarder, »und dachten uns, vielleicht mag Terje ja als Gast bei uns mitmachen. Ich rief ihn also an, und er antwortete knapp, schick mir mal die Musik, dann treffe ich eine Entscheidung. Es dauerte exakt fünf Minuten, bis mein Telefon klingelte und er sagte, er sei dabei. Es muss ihm also gefallen haben. Ich war selbst überrascht.«
Was dann passierte, ist ohne Beispiel. Im auf dem fulminanten Doppelalbum Elephant9 With Terje Rypdal dokumentierten Zusammenspiel mit dem Trio schwang sich der alte Gitarrist geradezu wie Phönix aus der Asche in die Stratosphäre auf und übertraf sich ein letztes Mal selbst. Wusste er zu diesem Zeitpunkt bereits, dass es sein Schwanengesang sein würde? Vermutlich.
»Er hatte sich ja schon zur Ruhe gesetzt«, gibt Storløkken zu bedenken. »Es gab mehrere Versuche, ihn zu einem letzten großen Finale zu überreden, das seine Lebensleistung würdigen würde. Aber Terje wollte nicht. Er sagte, er sei fertig. Ich bin froh, dass wir dieses Konzert aufgenommen haben. Es war von den Auftritten, die wir mit Terje absolvierten, das Beste, und ich finde, es sollte festgehalten werden.«
Wenn man das Zusammenspiel des Trios mit dem Gitarristen hört, wirkt es, als wären sie schon seit Jahren zusammengewachsen. Auf Storløkken und Rypdal trifft das sogar seit drei Jahrzehnten zu. Nur agierte der Keyboarder zuvor eben immer unter der Leitung des Gitarristen, und der ist nicht als der umgänglichste Zeitgenosse bekannt. Rypdal neigt gelegentlich zu unkontrollierten Ausbrüchen und extremen Stimmungswechseln.
Das Zusammentreffen von Elephant9 und Terje Rypdal war übrigens nicht die einzige Zusammenarbeit der beiden Klangbesessenen, seit Storløkken aus Rypdals Band ausgestiegen war. Vor einiger Zeit war der Gitarrist bereits gemeinsam mit der Band Supersilent aufgetreten, zu der Storløkken, Trompeter Arve Henriksen und Soundtüftler Helge Sten gehören. Das waren einzigartige kollektive Höhenflüge, die früher oder später sicherlich auch veröffentlicht werden.
»Wir nehmen jedes Konzert von Supersilent auf«, bestätigt der Keyboard-Hüne, als führte er schon was im Schilde. »Das waren ganz besondere Momente, wobei Terje damals noch in einer ganz anderen Verfassung war und auch mehr sein eigenes Ding durchzog. Bei Elephant9 hat er sich viel stärker auf unseren Sound eingelassen. Trotzdem war es unglaublich, wie seine Gitarre gleich einer Stimme über unseren ruppigen Grooves schwebte.«
Nun ist Terje Rypdal nicht der erste Gitarrist, mit dem sich Elephant9 die Ehre gaben. Auch mit dem Schweden Reine Fiske hat die Band schon gespielt, und auch diese Paarung erwies sich als Glücksfall. Wo sieht Storløkken die Unterschiede zwischen Fiske und Rypdal? »Ich sehe viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Das liegt daran, dass Reine stark von Terje beeinflusst ist. Terje war sein Held, als er jung war. Aber ein wesentlicher Unterschied besteht wohl darin, dass Reine eher mit Klängen experimentiert, während Terje unentwegt Melodien erfindet, die er in lichte Höhen trägt.«
Dieser Text stammt aus ►ROCKS Nr. 103 (06/2024).



