Andy Brings

Full Circle — Last Exit Rock’n’Roll [Blu-ray]

Arising Empire
VÖ: 2019

Die Suche nach der eigenen Wahrheit

Gegenwind wie im richtigen Leben: Als Andy Brings vor über einem Jahr eine Crowdfunding-Kampagne ins Leben rief, um sich bei der Umsetzung eines Dokumentarfilms über einen Teil seines Lebens finanziell unter die Arme greifen zu lassen, meldeten sich prompt die Berufsskeptiker zu Wort, die urteilten, ein solch narzisstisches PR-Projekt brauche kein Mensch. Wer sich ein paar Minuten mit dem jetzt auf Blu-ray erhältlichen Film von Brings und seinem Regie- und Produzententeam Alex Waldhelm, Jan Weiner und Popo Chanel beschäftigt, erkennt den Irrtum: Die persönliche Geschichte des 1971 im Ruhrpott geborenen Gitarristen zieht zwar den Rahmen auf für Full Circle — Last Exit Rock’n’Roll — die Intention und die Aussage aber sind überdeutlich andere.

Brings hat sich selbst und anderen (Musikern, Künstlern, einem Unternehmer, auch ein Psychologe kommt mehrfach zu Wort) die Frage gestellt, was genau es eigentlich ist, das sie dazu bringt, ihr Leben so konsequent zu leben wie sie es tun. Oft entgegen Normen und Widerständen, immer angetrieben von einer Idee, einem Traum und der wahren Bestimmung, für die es einzustecken, zu kämpfen und zu leiden lohnt. Für Brings ist diese der Rock’n’Roll. Als Neunjähriger wird er zum Kiss-Fan, entdeckt die aufregende Welt des Heavy Metal, in die er sich Tag für Tag nach dem erlösenden Gong zum Schulschluss zurückzieht und zu leben beginnt. Als er 1989 Skid Row als Vorgruppe von Mötley Crüe auf deren Dr. Feelgood-Tour live erlebt, kommt dies einer Erweckung gleich, die sein Leben komplett neu ausrichtet.

1992 steigt er als Gitarrist bei der deutschen Thrash-Institution Sodom ein, mit der er Tapping The Vein, die EP Aber bitte mit Sahne (1993) und Get What You Deserve (1994) einspielt und auf Tournee geht, ehe er völlig überraschend aus der Band geworfen wird und sich seines Rockstar-Traums brutal beraubt fühlt: Ein ernsthaft traumatisches Ereignis, erzählt Brings, das ihn letztlich aber umso mehr angespornt habe, es auf eigenen Füßen und zu seinen Bedingungen in der Musik zu etwas zu bringen.

Full Circle — Last Exit Rock’n’Roll dokumentiert dann auch einen Teil der emotionalen Aussprache zwischen Sodom-Chef Tom Angelripper (mit Flinte inmitten seines Jagdreviers) und Brings, den dieser Teil seiner Biografie spürbar bewegt. Eine immer wiederkehrende Frage des Films ist, wie und woher Menschen die Kraft schöpfen, auch nach erschütternden Rückschlägen mit ungebremster Leidenschaft ihren Weg weiterzugehen, ihrer Berufung zu folgen und so ihrem Leben Sinn, Freude, Erfüllung und Zufriedenheit zu geben.

Inspirierende neunzig Minuten, in denen sich vermutlich viele in der einen oder anderen Weise wiederentdecken werden — und die an allen Ecken und Enden eine tiefe und wärmende Dankbarkeit ausstrahlen. Dabei hätte Full Circle — Last Exit Rock’n’Roll gerne sogar noch tiefer den Lebens- und Karriereweg des Andy B. ausleuchten dürfen. Aber es kann ja nicht gleich alles zum Dreiteiler mutieren. Neben Tom Angelripper kommen Doro Pesch, Skid Row, die Schauspieler Liz Baffoe (Lindenstraße) und Marcus Sauk und viele mehr zu Wort. Mit Bonus-Material.

Keine Wertung
TEXT: DANIEL BÖHM

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