Es braucht gute Gründe und noch mehr Fingerspitzengefühl in der Umsetzung, einen selbst verursachten Album-Klassiker neu einzuspielen und unbeschadet aus der Nummer herauszukommen. Blind Guardian haben beides — und in "Somewhere Far Beyond (Revisited)" den Kunstgriff getan, einer bahnbrechenden Platte ein zweites Leben zu schenken.
Seit 1992 ist viel passiert. Die Zeiten, in denen Hansi Kürsch auf der Bühne Jogginghosen und Basketball-Stiefel trug, sind ebenso vorüber wie die seiner Doppelfunktion als singender Bassist (mittlerweile wurde der Niederländer Johan Van Stratum zum neuen Bassmann berufen); seit 2005 ist zudem Frederik Ehmke als Nachfolger des einstigen Schlagzeugers Thomen Stauch fest in der Gruppe verankert. Vor allem aber sind die Krefelder im Zuge der zurückliegenden 32 Jahre zu einer der größten und musikalisch auch anspruchsvollsten Heavy-Metal-Formationen Europas aufgestiegen. Den Grundstein dazu legte Somewhere Far Beyond: Obwohl das damalige Quartett bereits mit Tales From The Twilight World (1990) über sich herauswuchs und darauf seinen bolzigen Speed Metal ereignisreicher, chorlastiger und überhaupt so melodisch stark wie nie auf Platte brachte, war die Dimension dieses Entwicklungssprungs nicht annähernd vergleichbar mit dem, was sich auf dem zwei Jahre darauf über das Major-Unterlabel Virgin in die Welt geschickten Viertwerks abspielte. Die Songs waren durchdachter, kraftvoller und in den Arrangements, ihrer Instrumentierung wie überhaupt in der Produktionsumsetzung erheblich filigraner — das imposante Spiel mit Bombast, sinfonischen und Folk-Elementen, wie es im Metal seinerzeit allenfalls Skyclad praktizierten, erledigte den Rest.
Bedenkt man, wie viele Neuauflagen des Werks von Blind Guardian es in den zurückliegenden Jahren gegeben hat, irritiert es schon ein wenig, dass bislang nur eine gute dabei gewesen ist. Aber auch die Remix-Remaster-Hybriden der letzten Rutsche Reissues der ursprünglich zwischen 1988 und 1992 über das Virgin-Label veröffentlichten Alben sind letztlich immer bloß ein Kompromiss geblieben. Blind Guardian wissen sehr genau, was sie an Somewhere Far Beyond haben und was es ihren Anhängern bedeutet, denen sie ihr Opus vor zwei Jahren auf einer gloriosen Tournee am Stück gespielt präsentierten. Und ebenso sind sie sich ihres eigenen innigen Verhältnisses zu der Platte bewusst, mit der sie sich in vielerlei Hinsicht erst richtig in Bewegung setzten — und der vielen Kleinigkeiten, die sie mit heutigem Können, erweiterten technischen Mitteln und mit neu hinzugekommenen Musikern anders machen würden. Erstaunlich ist, wie gewissenhaft Somewhere Far Beyond (Revisited) am Original bleibt und mit allen Elementen so klingt, als wäre es gerade erst zwei Monate alt. Man höre nur sich nur einmal die herrlichen Speed-Metal-Gitarren im Titelstück mit all ihren zerrenden Details ganz genau an: Absolut bereichernd.
Album: 9