The Allman Brothers Band

Brothers And Sisters

Universal
VÖ: 2013

Feuerwerk musikalischer Trauerbewältigung

Als im August 1973 Brothers And Sisters erscheint, hätte niemand darauf gewettet, dass ausgerechnet diese dritte Studio-LP zum kommerziell erfolgreichsten Album der Allman Brothers Band werden würde. Wahnsinnig gute Zeiten liegen hinter der Gruppe mit den zwei Schlagzeugern. 1969 ist ihnen das beste Debüt einer amerikanischen Bluesrockgruppe überhaupt geglückt: durchtränkt von Soul, durchzogen von messerscharfen Gitarrenimprovisationen und jammernder Hammond, zuweilen moderat psychedelisch und mit einer Spielfreude, die keine Grenzen kennt.

Mit großen Schritten ging es im Folgejahr mit Idlewild South weiter: Während Miles Davis und das Mahavishnu Orchestra Elemente der Rockmusik in den Jazz integrierten, waren die Allmans die Ersten, die filigran den umgekehrten Weg gingen. Doch dann stirbt am 29. Oktober 1971 Gitarrist und Anführer Duane Allman nach einem Motorradunfall — ein Jahr später kommt auch ihr Bassist Berry Oakley auf ähnliche Weise ums Leben. Brothers And Sisters ist das Album, mit dem sich die Allmans aus der Schockstarre der Trauer befreien. Man tut gut daran, die auf der zweiten von insgesamt vier in dieser Deluxe-Editon enthaltenen Demo- und Probeaufnahmen nicht vorschnell als überflüssige Resteverwertung abzukanzeln, denn letztlich erzählen sie die Geschichte des Albums, das als Brothers And Sisters hinlänglich bekannt und geschätzt ist.

Die Band musste sich nach dem Tod von Duanne Allman ein erstes Mal neu finden und erneuern — und nach dem Tod von Oakley ein zweites Mal. Wie sehr sich diese Verluste auf das Selbstverständnis und auf das Zusammenspiel der Musiker (neu hinzu kamen Pianist Chuck Leavell und später Gitarrist Les Dudek) auswirkte, ist phänomenal und in neun Demos, Outtakes und Jams dokumentiert. Nicht weniger essenziell ist der zweistündige Mitschnitt eines Konzerts im Winterland vom 26. September 1973. Für das eigentliche Album Brothers And Sisters überließ der trauernde Gregg Allman seinem Gitarristen Dickey Betts die Federführung, bei ›Ramblin’ Man‹ (einer schlichten Country- und Southern-Nummer, die prompt als Hit einschlägt) und dem Country-Blues ›Pony Boy‹ mit Robert-Johnson-Anklängen auch den Gesang. Wie ›In Memory Of Elizabeth Reed‹ auf dem Vorgänger ist es auch hier ein Instrumentalstück, das unsterblich wird: Das jam-getriebene ›Jessica‹ ist reine Allmans-Essenz — neben Betts fröhlicher Gitarre ist es vor allem der zugestiegene Pianist Chuck Leavell, der im Mittelteil ein wahres Feuerwerk zündet.

(10/10)
TEXT: DANIEL BÖHM

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