Paradise Lost

Live At Rockpalast 1995

MIG
VÖ: 2019

Düsternis unter freiem Himmel

Mitte der Neunziger hatten die ein gutes Jahrzehnt zuvor im englischen Halifax gegründeten Paradise Lost den Dreh einfach raus: Sukzessive hatte sich die Band um Frontmann Nick Holmes auf ihren ersten vier Alben musikalisch weiterentwickelt und ihre anfänglichen Doom- und Death-Metal-Melange zu einer spannenden und stilprägenden Form des Gothic-Metal umgebaut, die ab dem dritten Album Shades Of God (1992) immer mehr nach einer originären, stark verlangsamten Mischung aus Metallica und den Sisters Of Mercy klang.

Stärker noch auf dem famosen Nachfolger Icon, auf dem Holmes sich seine Todesgrowls konsequent klemmte und seiner Stimme Charisma und Melodien erlaubte, die in Kombination mit den klagend-singenden Gitarren und harten Riffbrettern enorme Wirkung zeigten — noch viel mehr jedoch auf dem kunstvoll-filigranen Genre-Klassiker Draconian Times, der 1995 mit ›Forever Failure‹ und ›The Last Time‹ sogar zwei Single-Hits abwarf. Der Erfolg dieser beiden Platten brachte die Engländer im August 1995 auf die Bühne der neunten Ausgabe des Bizarre-Festivals (auf dem Gelände im Kölner Stadtteil Deutz steht heute die Lanxess-Arena), der zugleich ersten, die der WDR für den Rockpalast im Fernsehen übertrug und aufzeichnete. Tummelten sich den Tag über illustre Akteure wie Kyuss, NOFX, White Zombie, Clawfinger und Monster Magnet auf dem Festivalbilling, so standen zum Abschluss der Freiluftveranstaltung die melancholischen Klänge der Engländer im Fokus. Die gaben rein gar nichts auf die Trübsal-Klischees ihres Genres und stellten in ihrem Auftreten ganz und gar die kommunikations- und spielstarke Metal-Band zur Schau, die in warmem Licht ausgeleuchtet wurde.

Live At Rockpalast 1995 lässt den 14 Songs umfassenden Paradise Lost-Auftritt noch einmal in Bild und Ton Revue passieren und verdeutlicht, wie prächtig bei der von Holmes, den Gitarristen Greg Mackintosh und Aaron Aedy, Bassist Steve Edmondson und dem heutigen Magnum-Schlagzeuger Lee Morris befeuerten Maschine ein Rad ins andere griff. Ganz gleich, ob die Truppe ›Enchantment‹, ›Forever Failure‹ oder ›Last Time‹ (insgesamt spielte die Band sechs der zwölf auf Draconian Times enthaltenen Songs, das knapp zwei Monate vor dem Bizarre erschienen war) zelebrierte oder sich mit ›Embers Fire‹, ›Pity The Sadness‹ oder dem hier vergleichsweise schnell gespielten Shades Of God-Hit ›As I Die‹ in der Vergangenheit suhlte: Das Publikum feierte. Ein schönes Dokument einer musikalisch aufregenden Zeit.

Keine Wertung

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