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Arjen Lucassen's Supersonic Revolution

Viel Spaß und viel Orgel

Nach vielen Jahren als Kopf solcher Prog-Projekte wie Ayreon stellt sich Arjen Lucassen wieder in den Dienst einer Band. Supersonic Revolution interpretieren den Sound von Deep Purple, Rainbow und Uriah Heep — und setzen dem goldenen Musikzeitalter ein Denkmal.

TEXT: MARKUS BARO |FOTO: Lori Linstruth

Künstliche Intelligenz, Aufstand der Maschinen, Zeitreisen und fremde Galaxien — in den bombastischen Epen seines All-Star-Prog-Projekts Ayreon vertonte Arjen Lucassen bislang gern akribisch ausgetüftelte Science-Fiction-Storys, die er von einer Vielzahl engagierter Sänger und anderer Gastmusiker zu Leben erwecken ließ.

Den Grenzen des Umsetzbaren gefährlich angenähert hatte er sich schließlich vor drei Jahren mit der beinahe cineastisch inszenierten Rockoper Transitus. Was nicht zuletzt dazu führte, dass der hochgewachsene Holländer eine Pause von seinem zum Markenzeichen gewordenen Konzept von Musik als Großinszenierung benötigte. Nicht zuletzt die langwierigen Verhandlungen mit Managern und Plattenfirmen um Kooperationsmöglichkeiten und Rechte sei mitunter immer nervenaufreibender und kraftraubend geworden, bekennt der 62-Jährige, der sich gerade daheim im niederländischen Nirgendwo von einer Nierenstein-Operation erholt. Das Warten auf die Beiträge der auserkorenen Musiker allerdings auch.

»Wenn ich Songs komponiere und eine thematische Rahmenhandlung erarbeite, bin ich in meiner ganz eigenen Welt. Das macht mir riesengroßen Spaß. Irgendwann aber kommt immer der Perfektionist in mir ins Spiel, der die ausgewählten Musiker bei aller Bewunderung darum bitten muss, diese Melodie oder jenes Solo noch einmal neu einzuspielen, weil ich der Meinung bin, das gehe eben noch besser. Das ist unangenehm und der Teil meiner Arbeit, den ich aufrichtig hasse. Ich beiße mich auch gern in der Sorge fest, dass irgendetwas ganz bestimmt nicht funktionieren wird. Bei der letzten Platte von Star One war das ganz besonders schlimm. Als ich zum Beispiel auf den Beitrag von Steve Vai gewartet habe, konnte ich die ganze Zeit nur noch daran denken, was nur sein würde, wenn Steve womöglich einen schlechten Tag erwischt und seine Einspielung nicht zu gebrauchen sein würde. Furchtbar pessimistische Gedanken, die dir irgendwann an die Substanz gehen. Und das meist völlig unnötig.«



Dem Gefühl, der Situation und dem Mitziehen anderer ausgesetzt zu sein, trat er nun aktiv entgegen: Erstmals seit den seligen Zeiten mit den Hardrockern Vengeance, deren Gitarrist er Mitte der Achtziger war, und mit denen er unter anderem Genre-Klassiker wie Take It Or Leave It (1987) und Arabia (1989) veröffentlichte, genießt Lucassen nun seinen Platz inmitten eines Band-Kollektivs. 

»Das hat sich einfach so ergeben«, erzählt der Musiker. »Im Grunde ist unser Album entstanden, weil ich einem Musikmagazin etwas vorschnell angeboten hatte, für einen Sampler eine Coverversion aufzunehmen. Da es zeitlich so stark pressierte, habe ich spontan die ersten vier Freunde kontaktiert, die mir in den Sinn kamen. Wir hatten dann so viel Spaß, dass wir in gefühlten zehn Minuten nicht nur mehrere Cover aufgenommen, sondern gleich auch noch elf eigene Stücke geschrieben haben. Es hat mich selbst überrascht, wie unglaublich befreiend es sich angefühlt hat, dieses Mal einfach nur ein Teil einer Band zu sein. Das habe ich früher nie so empfunden. In meinen frühen Band-Tagen war ich nie wirklich glücklich und wollte immer lieber mein eigener Chef sein.«



Zum inneren Kreis ihrer Gemeinschaft gehört Joost van den Broek. Ein Lucassen-Projekt ohne seinen Stamm-Keyboarder wird es in diesem Leben wohl nicht mehr geben. Und doch beschwört er in Supersonic Revolution Sounds hervor, die man in dieser Konsequenz wohl weniger von ihm erwartet hätte: Die mächtig röhrende Orgel des 40-Jährigen weckt Erinnerungen an Legenden wie Jon Lord oder Ken Hensley und verortet Golden Age Of Music ein gutes Stück in den Siebzigern. Eine Ära, die van den Broek nur vom Hörensagen kannte. »Ich sag mal so: Wer Hammondorgel nicht mag, für den ist Golden Age Of Music ganz sicher nicht das richtige Album«, lacht Lucassen. »Als ich Joost kennenlernte, war er eher der Dream Theater-Typ. Mit dem Sound der Hammondorgel war er nicht wirklich vertraut, geschweige denn, dass er eine gespielt hätte. Irgendwann hat er aber ›July Morning‹ von Uriah Heep entdeckt und von da an war er geradezu vernarrt in das Instrument und hat sich immer tiefer eingearbeitet. Sein Spiel auf der Scheibe hat für mich etwas von Deep Purples Perfect Strangers

Den unterstellten Siebziger-Schlag des Albums möchte Lucassen aber doch relativieren, der auf Golden Age Of Music als Bassist in Erscheinung tritt und das filigrane Gitarrenspiel Timo Somers (Delain) überlässt. »Der Grundsound war durch Joosts Orgel schon dermaßen fett und mächtig, dass eine weitere Gitarre völlig erschlagen hätte. Für einige Lieder hatte ich zwar schon Rhythmusgitarren aufgenommen, aber alles Weitere habe ich schnell bleiben lassen. Timo sollte unbedingt zu hören sein, der hat mich völlig begeistert. Er ist durch die Achtziger-Schule gegangen und hat mehr von George Lynch gelernt als von den Helden der Vorgängergeneration wie Ritchie Blackmore. Das bildet einen sehr schönen Kontrast zu den sehr klassischen Rock-Orgelklängen, die in Stereo entgegendröhnen. Und das sorgt für einen ganz eigenen Charakter. Der ist nicht unbedingt metallisch-heavy wie der von Star One — ein klassischer Seventies-Sound ist das aber eben auch nicht. Ich empfinde ihn eher als eine moderne Neuinterpretation. Es war mir wichtig, mich nicht zu wiederholen. Zwar tendiert ein Lied wie ›Odyssey‹ zumindest ein bisschen in Richtung Ayreon, aber das liegt auch an Jaycee.«



Jaycee Cuijpers ist der aktuelle Frontmann von Praying Mantis und war die erste Wahl für den Posten des Sängers, der auf Platte zum ersten Mal vor sieben Jahren mit Lucassen kooperierte und eine Akustik-Fassung der Final Experiment-Nummer ›Sail Away To Avalon‹ einsang. Auf Golden Age Of Music erinnert er bemerkenswerterweise immer wieder an Tony Martin und seine Schaffensphase mit Black Sabbath (Eternal Idol, 1987) — im famosen ›Odyssey‹ genauso offensichtlich wie im schwergewichtigen ›They Took Us By Storm‹ oder dem geschickt mit Rainbow spielenden ›The Glamattack‹.

»Jaycee ist bei den Ayreon-Universe-Shows in allerletzter Minute für den verhinderten Russell Allen eingesprungen und hat mich aus allerhöchster Not gerettet. Er hat damals einen Bomben-Job gemacht und schon deshalb wollte ich unbedingt mal Album mit ihm als alleinigem Sänger«, so Lucassen. »Wegen ihm wollte ich auch unbedingt einen Song von Dio aufnehmen. Die üblichen Verdächtigen wie ›Temple Of The King‹ kamen nicht infrage, weil es davon einfach schon viel zu viele Fassungen gibt. Auch ›Stargazer‹ fiel flach, zumal das sowieso nicht besser hinzubekommen ist. Von bestimmten Songs lässt man besser die Finger. Ich habe mich deshalb für einen Song von The Butterfly Ball entschieden: Ein etwas weniger bekanntes Album von Roger Glover, das ich absolut liebe! ›Love Is All‹ war damals sogar ein ansehnlicher Hit in Holland. Meines Wissens nach wurde der Song bisher nur einmal von einem Kinderchor gecovert. Wir haben aus dem eher Musical-artigen Original einen Heavy-Rocker mit frühem Status-Quo-Vibe gemacht.«



Nicht weniger originell geraten sind die die übrigen Adaptionen, die Supersonic Revolution in ihren reich beorgelten Sound zwischen Deep Purple, Rainbow und Ayreon übersetzen: Originale von ZZ Top (›Heard It On The X‹) oder Earth Wind & Fire (›Fantasy‹) sind nicht unbedingt Stücke, die man zwangsläufig mit dem Prog-Mastermind in Verbindung gebracht hätte. ›Children Of The Revolution‹ von T.Rex gehört eher dazu.

»Der Song hatte das Wort „Revolution“ im Titel — und das hat mir schon ausgereicht, wie wild dazu durchs Kinderzimmer zu hüpfen«, berichtet Lucassen von seiner frühesten musikalischen Sozialisierung. »Aber im Ernst: Natürlich bin ich der größte Fan von Pink Floyd oder Rainbow, aber Marc Bolan war der erste Musiker, von dem ich ein Poster an die Wand gehängt habe, und Kiss oder Sweet haben erst meine Liebe zur Musik geweckt. Dieser Sound war wirklich eine Revolution. Dass ich dagegen nie sonderlich auf Disco stand, ist kein großes Geheimnis. Aber für ›Fantasy‹ hatte ich immer ein heimliches Faible und es hat sich angeboten, ihn zu verändern und nur die Grundstruktur beizubehalten. Auch ZZ Top sind nicht gerade meine Favoriten. ›Heard It On The X‹ ist jedoch ein witziges Stück und es hat einfach Spaß gemacht, es aufzunehmen. Und der Spaß war es ja, der Supersonic Revolution überhaupt erst zusammengebracht hat.«



Mehr Supersonic Revolution:
ROCKS Nr. 93 (02/2023) 

Mehr Arjen Lucassen:
► ROCKS Nr. 78 (05/2020)
ROCKS Nr. 100 (03/2024)


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