UFO

Fehlstarts, Höhenflüge, Bruchlandungen (Sammlerguide)

Mit dem Gitarren-Wunderkind Michael Schenker setzen sie sich an die Spitze der zweiten britischen Rock-Invasion. Aber auch ohne ihn heben UFO zu magischen Momenten ab und blicken nach fünf Jahrzehnten auf eine lange Reihe exzellenter Hardrock-Alben zurück.

TEXT: MARKUS BARO

Ein Pub im Norden Londons ist die Geburtsstätte dieser Band, die trotz ihres Namens nichts mit der florierenden Progressive-Rock-Szene am Hut hat. Sänger Phil Mogg, Gitarrist Mick Bolton, Bassist Pete Way und Trommler Andy Parker reichern auf ihrem mit einem Budget von fünfhundert Pfund in nur sieben Tagen eingehämmerten Debüt UFO 1 knochentrockenen, bluesig angehauchten Hardrock mit psychedelischen Schlieren und vernebelten Minimalisten-Jams an. Nach dem Zweitwerk Flying und einem eilig nachgeschobenen Live-Mitschnitt verlässt Bolton das Raumschiff. Auch seine Nachfolger Larry Wallis und der zukünftige Whitesnake-Gitarrist Bernie Marsden gehören nicht lange zur Crew, und so werben die Briten 1973 auf einer Deutschland-Tour den gerade mal achtzehnjährigen Michael Schenker von ihrer Vorgruppe Scorpions ab.

Der blutjunge Gitarrist verleiht Alben wie Phenomenon oder Force It mit massiven Riffs und melodiegeprägten Soli eine ungleich größere dynamische Bandbreite — und eine nicht für möglich gehaltene Magie. Durch die Hinzunahme von Gitarrist und Keyboarder Paul Raymond (zuvor bei Savoy Brown) klingen UFO noch nonchalanter, aber der Riss zwischen den britischen Arbeiterklasse-Rüpeln mit exorbitantem Alkohol- und Drogenkonsum und dem sensiblen, aber unberechenbaren Gitarren-Star bricht vor der Veröffentlichung des sagenumwobenen Live-Doppeldeckers Strangers In The Night offen zutage.

Schenker wird durch den ehemaligen Lone Star-Gitarristen Paul Chapman ersetzt, mit dem die Gruppe ein solides, aber weniger aufregendes Kapitel ihrer Karriere aufschlägt. Die Berg- und Talfahrt mit ständig wechselnden Mitreisenden wird in Gang gesetzt durch den Ausstieg von Pete Way, der 1982 seine eigene Band Waysted gründet. Chapman folgt und wird erst von Atomik Tommy M und dann von Laurence Archer ersetzt, auch Parker geht von Bord. Erst ab Mitte der Neunziger kommt es zu mehreren Wiedervereinigungen der klassischen Besetzung mit Mogg, Way, Parker, Raymond und Schenker. Die alte Chemie ist jedoch nur auf dem 1995 veröffentlichten Walk On Water zu spüren.

Nach einem zwei Alben währenden Intermezzo unter dem Namen Mogg/Way sind UFO seit 2003 mit dem Amerikaner Vinnie Moore unterwegs. Der ehemalige Vicious Rumors-Flitzefinger sorgt für Ausgeglichenheit, doch der Zahn der Zeit nagt unablässig an dem alten Rock-Schlachtschiff. Pete Way scheidet 2008 endgültig aus und wird später durch den amerikanischen Bassisten Rob De Luca ersetzt. Unlängst hat nun Phil Mogg, der als einziger Musiker auf allen UFO-Alben zu hören ist, sein Karriereende bekanntgegeben, das 2019 unter dem Motto „Last Orders — 50th Anniversary Tour“ mutmaßlich auch für seine Band das Finale bedeuten dürfte. Ob die britisch-amerikanische Besatzung danach zu weiteren Flügen abheben wird, ist derzeit völlig offen.


UNVERZICHTBAR

Lights Out (1977)

Produzent Ron Nevison zwingt UFO konzentriertes Arbeiten auf. Mit letzten Energiereserven liefern sie ein in Sound, Arrangements und Melodiefülle dichtes Hardrock-Meisterwerk ab, dessen bedrohlich brummender Titelsong, das balladeske Drama ›Try Me‹ oder der orchestrierte und beinahe progressive Jahrhundert-Klassiker ›Love To Love‹ vor allem durch Schenkers beseelte Gitarrenarbeit geadelt werden. Dass die Band dank endloser Touren kurz vor dem Kollaps steht, hört man ihrem sechsten Album zu keiner Sekunde an. Überzeugender gelang eine Legierung aus hartem Rock und spielerischer Eleganz nur selten.



The Wild, The Willing And The Innocent (1981)

Nach dem soliden No Place To Run erreichen UFO mit dem zweiten Einsatz von Schenker-Nachfolger Paul Chapman (vormals bei Lone Star) ihren kreativen Zenit, dessen Klasse die Nachfolger Mechanix und Makin’ Contact nicht mehr gänzlich erreichen. In Liedern wie ›Makin’ Moves‹, ›Chains Chains‹ oder dem wuchtigen Stampf-Rocker ›Long Gone‹ sorgen bleischwere Riffs für mehr Bodenhaftung, melancholische Außenseiter-Hymnen wie ›It’s Killing Me‹, der atmosphärische Titelsong oder die eindringliche Ballade ›Profession Of Violence‹ gewinnen auch durch die prägnante Tastenarbeit von Neuzugang Neil Carter.



SECHS EMPFEHLUNGEN


UFO 2: Flying (1971)

Nach ihrem unbeachtet gebliebenen Debüt für das Mini-Label Beacon verlieren UFO mit einem psychedelischen Trip in die Weiten des Alls jegliche Bodenhaftung. Der mysteriöse Gitarrist Mick Bolton trägt das knapp halbstündige ›Flying‹ mit fantasievollem Gebrauch von Echo, Delay und Lautstärkeregler und lässt im luftigen Bluesrocker ›Silver Bird‹ und dem achtzehnminütigen ›Star Storm‹, einem kuriosen Mix aus Kraut- und Hard-Rock, mindestens so viele Noten liegen wie sonst nur Free-Legende Paul Kossoff. Das einzige strukturierte Musikstück ist der in Deutschland beliebte Tanzflächenfeger ›Prince Kajuku‹: Viel zu gut, um immer wieder links liegen gelassen zu werden.



Phenomenon (1974)

Kommandant Schenker lässt den Raumkreuzer endlich abheben: Aus Space- wird lupenreiner Hardrock. Mit knirschenden Riffs, flüssigen Soli und erweitertem Intensiv-Jam verkörpert ›Rock Bottom‹ die Definition des Briten-Rock schlechthin, frühere Raum-Trips sind nur noch im nebulösen ›Space Child‹ spürbar. ›Doctor Doctor‹ und ›Oh My‹ belegen die Neuerfindung als kompakte Hardrocker, die aber auch sensible Töne nicht auslassen. Das zeigen das filigrane ›Time On My Hands‹, die Ballade ›Crystal Light‹, das Country-angehauchte ›Lipstick Traces‹ und der von Willie Dixon ausgeliehene Heavy-Blues ›Built For Comfort‹.



Force It (1975)

In Rekordzeit entsteht ihr bis dahin dynamischstes Album, dessen Klassikerstatus lediglich durch das schwächere ›Dance Your Life Away‹ gemindert wird. Schenkers entfesselt-ekstatische Gitarrenarbeit in Liedern wie ›Mother Mary‹, die pumpende Rhythmus-Sektion und Moggs lässig-coole Gesangsdarbietung prägen ihren definitiven Sound, der mit ›Let It Roll‹ und ›Shoot Shoot‹ zwei Vorboten der New Wave of British Heavy Metal hervorbringt. Für musikalische Finesse sorgen das von Chick Churchills Piano veredelte ›Out In The Street‹ und das fast progressive ›This Kid’s‹. Die von Hipgnosis entworfene Skandal-Hülle wird in Amerika zensiert.



 

No Heavy Petting (1976)

Die Band ist hoffnungslos im Tour-Album-Tour-Rhythmus verstrickt. Auf Schenkers Wunsch erfolgt die Hinzunahme von Keyboarder Danny Peyronel, der für mehr Wucht und musikalische Tiefe sorgt und sich in den furiosen Dampframmen ›Highway Lady‹ und ›Can You Roll Her‹ als Komponist tadellos einführt. Der Killer-Riff von ›Natural Thing‹ zementiert ihren Ruf als beinharte Rocker, die Ballade ›Belladonna‹ sorgt für den besinnlichen Moment einer LP, der nur das langgezogene Ende von ›On With The Action‹ einen kurzen Spannungsabfall beschert. Als Sündenbock für den kommerziellen Misserfolg wird Peyronel ausgemacht und nach der Tour gekündigt.



Obsession (1978)

Die Erfolgsformel von Lights Out wird auf dem Zwillings-Album, dem Ron Nevison einen großflächigen Panorama-Sound verpasst, nur in Nuancen variiert. Paul Raymonds satte Keyboards dienen als Grundierung für siedend heiße, räumlich klingende Gitarren-Exkursionen, die Drums in ›Pack It Up (And Go)‹ oder ›Hot’n’Ready‹ poltern in bester Led Zep-Manier. Die Magie des Vorgängers erreicht Obsession trotz des künftigen Live-Krachers ›Only You Can Rock Me‹ und dem herrlichen Blues ›Ain’t No Baby‹ aber nicht ganz. Im gefälligen ›Cherry‹ und dem Selbstplagiat ›Arbory Hill‹ hinterlässt die Tour-Müdigkeit ihre Spuren.



 

The Visitor (2009)

Auf You Are Here und The Monkey Puzzle sorgt Vinnie Moore für Stabilität, aber erst The Visitor prägt er mit seinem gefühlvollen, aber doch metallisch gestählten Gitarrenspiel. Mit dem bluesigen ›On The Waterfront‹ besinnen sich UFO ihrer Wurzeln, der Hardrocker ›Hell Driver‹ würde sogar AC/DC gut zu Gesicht stehen und ›Stop Breaking Down‹ oder das mit Slide-Gitarre verzierte ›Saving Me‹ sind die besten Beispiele für die Fähigkeit, eingängige Melodien in ein Gewand aus bleischweren Riffs zu kleiden. Der an einer Lebererkrankung leidende Pete Way wird durch den vielseitigen Studiomusiker Peter Pichl ersetzt.



VORSICHT!

Misdemeanour (1985)

Nach der desaströsen Makin’ Contact-Tour fallen UFO auseinander. Mogg unternimmt in L.A. mit Gitarrist Atomik Tommy M, dem früheren Magnum-Trommler Jim Simpson und Bassist Paul Gray einen kaum überzeugenden Ausritt in AOR-Gefilde. Ohne die blutleer-amerikanisierten Gitarren-Sounds, klebrigen Keyboard-Fanfaren und maschinell gefertigten Drums wären Stücke wie ›Night Run‹ oder ›Meanstreets‹ durchaus zu retten gewesen. Erst sieben Jahre nach dem tiefen Fall und der im Streit erfolgten Trennung von Paul Raymond starten UFO mit dem von Laurence Archer lässig-geerdeten High Stakes & Dangerous Men wieder durch.



LIVE-STERNSTUNDE

Strangers In The Night (1979)

Im Studio souverän, live eine Macht: Feuriger und leidenschaftlicher kann man Hardrock auf der Bühne kaum zelebrieren. Auf dem Höhepunkt ihres Schaffens setzen sich UFO mit einer überirdischen Energieleistung ein Denkmal und lassen die wahrlich nicht schlechten Studio-Gegenstücke verdammt alt aussehen. Vor allem das elfminütige ›Rock Bottom‹ wird zum Vorzeige-Gitarren-Exkurs, aber die von Ron Nevison ausgewählte Version lehnt Schenker ab und weigert sich, das Solo im Studio nachbearbeiten zu lassen. Das führt zum endgültigen Bruch mit dem Gitarren-Titan, der daraufhin seine bis heutige erfolgreiche Solokarriere startet.



Diskografie Ufo:


UFO 1 (1970)
UFO 2: Flying (1971)
Phenomenon (1974)
Force It (1975)
No Heavy Petting (1976)
Lights Out (1977)
Obsession (1978)
No Place To Run (1980)
The Wild, The Willing And The Innocent (1981)
Mechanix (1982)
Making Contact (1983)
Misdemeanor (1985)
High Stakes & Dangerous Men (1992)
Walk on Water (1995)
Covenant (2000)
Sharks (2002)
You Are Here (2004)
The Monkey Puzzle (2006)
The Visitor (2009)
Seven Deadly (2012)
A Conspiracy Of Stars (2015)
The Salentino Cuts (Coveralbum, 2017)

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