Das Wörtchen „epochal“ huscht einem beim Schrieben über Musikgeschichte schon mal schneller über die Tastatur als es womöglich angebracht ist. Im Falle von Van Halen, die 1978 mit ihrem selbstbetitelten Einstand dem darbenden Hardrock frischen Schwung gaben und ein neues Interesse an jener Musikrichtung entfachten, scheint selbst dieses Adjektiv in der Tragweite seiner Bedeutung kaum auszureichen. Grund für die Aufregung war ein Gitarrenkünstler, wie es ihn zuvor noch nicht gegeben hatte. Tatsächlich hat wohl niemand nach Eric Clapton und Jimi Hendrix das Spiel der Rock-Gitarre so grundlegend und nachhaltig verändert wie Eddie Van Halen.
Seine Geschichte und die seiner Band beginnt in Amsterdam, wo Edward Lodewijk Van Halen am 26. Januar 1955 geboren wurde. Sieben Jahre später wanderten seine Eltern mit ihm und seinem älteren Bruder Alex aus den Niederlanden nach Kalifornien aus. Mit ihrem High-School-Trio spielten die Geschwister vorwiegend auf Schulveranstaltungen, für die sie sich von einer lokalen Band regelmäßig die Musikanlage borgten. Und bald auch den Sänger: Als sich ihnen 1974 David Lee Roth und wenig später Bassist Michael Anthony anschlossen, änderten sie ihren Namen von Mammoth in Van Halen. Schon bald wurde das Quartett von den einschlägigen Clubs in Hollywood gebucht.
Im September 1977 nahmen Van Halen ihre erste LP auf: betont live und ohne großartige Tonspurenkosmetik. Die Veröffentlichung im folgenden Frühjahr sorgte für helle Aufregung, denn dieser Sound war neu, überschwänglich und sehr lebendig. Van Halen hatten einen Stil, der in die Achtziger wies. Sie waren gesegnet mit charismatischer Anmaßung und einer sexuellen Energie, die vor allem ihr großmäuliger Sport-Gockel transportierte.
Zwar war und ist Roth ganz bestimmt kein von Gott gesandter Stimmvirtuose. Und doch hatte der Sänger einen klaren Entertainment-Auftrag von ihm mit auf den Weg bekommen. Als »eine Mischung aus Religion und Hockey« beschrieb er seinerzeit die Musik seiner Band, die Black Sabbath auf ihrer Jubiläumstournee 1978 durch Europa begleiten durfte und mit solchem Ungestüm durch ihr Programm pflügte, dass der eigentliche Headliner demütig und gesenkten Hauptes als behäbiger Vertreter der Rock-Saurier-Garde von der Bühne schlich.
Und immer wieder Eddie Van Halen. Dieser bediente seine furiose Rhythmus-(!) und Lead-Gitarre nach überwiegend von ihm selbst aufgestellten Regeln: ›Eruption‹ ist bloß der populärste Botschafter seiner Griffbrettakrobatik mit schnellen, hart angeschlagenen Licks, fliegenden Legato-Läufen, feistem Einsatz des Vibrato-Hebels und beidhändiger Tapping-Attacken; von den Qualitäten dieses als beiläufige Aufwärmübung im Studio entstandenen Instrumental-Solos musste Produzent Ted Templeman den staunenden Eddie seinerzeit erst überzeugen.
Seine Songs und Soli, seine Riffs, Sounds und Tricks wurden unzählige Male adaptiert und kopiert. Doch erreicht hat niemand auch nur annähernd sein Melodiegespür, seine spielerische Dramatik — und schon gar nicht diese natürliche Ausstrahlung, diese authentische Nonchalance, die Eddie Van Halen in seiner Kunst mit Höhen und Tiefen demonstrierte.
Anfang der Achtziger, als er am renommierten Guitar Institute of Technology in Los Angeles zu einem Gastseminar geladen war, mühten sich die Musikdozenten vergeblich, für die Nachtwelt zu transkribieren, was dieser Edward Van Halen ihnen da vorspielte. »Es mag aus heutiger Sicht komisch klingen, aber sie mussten ganz neue Symbole erfinden, die dann über die Noten gedruckt wurden, um anzuzeigen, was ich da mache«, lachte der überzeugte Autodidakt. »Es gab vorher keine Möglichkeit, in Noten aufzuschreiben, wie ich spiele. Eigentlich sehe ich mich aber mehr als Rhythmusspieler. Pete Townshend war unschlagbar in dieser Disziplin.
Ein Solo sollte man nur spielen, wenn man auch etwas zu sagen hat. Ein Solo bedeutet für mich, einen Song zu verbessern. Viele Gitarristen übersehen das. Sie stehen mit schmerzverzerrtem Gesicht auf der Bühne und erwarten, für ihr technisches Können verehrt zu werden. Die meisten merken gar nicht, dass sie eigentlich nur Leistungssport treiben.«
Atmosphärischen Störungen machten das Ende der Erstbesetzung von Van Halen 1985 unausweichlich. Während David Lee Roth in eine erfolgreiche Solo-Karriere startete, nahmen Van Halen mit Sammy Hagar die Geschäfte wieder auf: Bis 1999 entstanden mit dem einstigen Montrose-Sänger vier in den Melodien und Arrangements erheblich durchdachtere Alben, ehe auch diese Liaison 1998 zu einem Ende kam: Das von Gary Cherone (Extreme) eingesungene Van Halen III ist das einzig zu vernachlässigende Album der einflussreichen Hardrocker geblieben.
Krisen wie die Scheidung von der Schauspielerin Valerie Bertinelli und sein Kampf gegen die Alkoholsucht waren private Begleiterscheinungen der Neunziger, ehe 2012 in A Different Kind Of Truth ein letztes Album von Van Halen entstand: wieder mit Roth, aber ohne Michael Anthony, für den Eddies Sohn Wolfgang den Bass in Van Halen übernahm.
Gemeinsam mit Bruder Alex schuf Eddie Van Halen auch die Musik für Filme wie The Wild Life und Twister und war als Gast oder Partner an etlichen Projekten beteiligt. So arbeitete er etwa mit Brian May, Roger Waters, Toto-Gitarrist Steve Lukather sowie auch LL Cool J.
Große Bekanntheit erlangte sein Gitarrensolo im Michael Jackson-Song ›Beat It‹ von dessen Album Thriller (1982), das zum meistverkauften Album aller Zeiten wurde.
Am 6. Oktober ist der große Eddie Van Halen im St. John’s Hospital in Santa Monica an seiner Krebserkrankung gestorben. Er wurde 65 Jahre alt.
Eine umfassende Diskografie-Kommentierung von Van Halen gibt es in ROCKS Heft Nr. 78 (05/2020)
Van Halen (1978)
Van Halen II (1979)
Women And Children First (1980)
Fair Warning (1981)
Diver Down (1982)
1984 (1984)
5150 (1986)
OU812 (1988)
For Unlawful Carnal Knowledge (1991)
Balance (1995)
Van Halen III (1998)
A Different Kind Of Truth (2012)