Das vergangene Jahr verbucht die dreiköpfige Band aus dem beschaulichen Städtchen Varberg als vollen Erfolg: Ihr siebtes Studio-Album Hoodoo Lightning stieß bei der Anhängerschaft auf Begeisterung, auch die Europa-Tournee, die Kamchatka gemeinsam mit Graveyard im Vorprogramm von Clutch absolvierten, lief prächtig. Überhaupt kommen Gitarrist und Sänger Thomas „Juneor“ Andersson die zurückliegenden zwölf Monate vor »wie eine Wiederauferstehung«. Der Grund: Vor rund zweieinhalb Jahren hatte der Frontmann einen Arbeitsunfall, bei dem er schwere Kopfverletzungen davontrug. Lange musste er sich von den Folgen erholen, manche Dinge seines täglichen Lebens von Grund auf neu erlernen.
»Wenn wir nicht mit Kamchatka aktiv sind, verdiene ich mir ein paar Kröten im Hafen unserer Gemeinde dazu«, erzählt der Familienvater. »Das sind meist einfache Sachen, kein Hexenwerk. Als wir damals zwei Container auf ein Schiff verluden, löste sich ein massives Metallteil von einem dieser Dinger und rauschte aus sieben Metern Höhe direkt auf mich runter. Diverse Knochen meines Gesichts waren gebrochen, einige meiner Nackenwirbel hinüber und die Nerven in meinem linken Arm lahmgelegt. Nicht die besten Voraussetzungen, um als Musiker weiter aktiv zu sein.«
Andersson blieb willensstark, absolvierte ein Rehabilitationsprogramm und konnte Anfang 2019 grünes Licht für die Fortsetzung seines Weges an der Seite von Bassist und Sänger Per Wiberg und Schlagzeuger Tobias Strandvik geben. »Es war ein hartes Stück Arbeit, wieder etwas Gefühl in meine linke Hand zu bekommen«, seufzt der 44-Jährige, der sich ebenso gerne alten Platten von ZZ Top und Jimi Hendrix widmet wie den Spielen seiner Playstation. »Die Übungen haben mich an den Rand des Wahnsinns getrieben, aber aufgeben kam auch nicht in Frage!
Kamchatka veröffentlichten im Herbst 2018 eine Vinyl-Single mit den beiden Stücken ›Stone Cold Shaky Bones‹ und ›Midnight Charmer‹ als Lebenszeichen, aber »erst als wir im Februar 2019 einige Shows in Spanien und Holland gespielt hatten, war ich mir sicher, dass es mit der Band weitergehen wird«, sagt Andersson. »Ich bin jeden Tag aufs Neue dankbar, diesen Mist gut überstanden zu haben. Heute weiß ich dadurch auch die kleinen Dinge im Leben besser wertzuschätzen.«
Die beachtliche Grundhärte, die viele Songs auf Hoodoo Lightning durchzieht, lässt sich indes nicht ausschließlich an diesem schwierigen Lebensabschnitt festmachen. Schon nach der Veröffentlichung von Long Road Made Of Gold (2015) war Andersson gewillt, neue Akzente im Klangbild seiner Band zu setzen und »unserer Soundcollage neue Details hinzuzufügen«. Erste Songideen für eine weitere Platte hatte er schon damals zu Papier gebracht. »Mein Plan war es, einen aggressiveren Grundton anzuschlagen und den Gesang stärker zwischen Per und mir aufzuteilen. Dadurch klingen unsere Songs variabler und wir verschaffen uns hinsichtlich der Konzerte mehr Freiraum, weil nicht einer durchgehend am Mikro kleben muss. Vor etlichen Jahren hatten wir das ähnlich gehandhabt.«
Damals gehörte Roger Öjersson zur Band, der heute bei Katatonia spielt. Mit ihm teilte sich Andersson die Gesangspassagen bis 2011 brüderlich auf. »Als Roger nach unserem vierten Album Bury Your Roots ausstieg und Per seinen Posten übernahm, ließen wir diese Arbeitsweise zusehends schleifen. Das wollte ich unbedingt wieder ändern.« Dass er in Wiberg einen gewieften Partner hat, der auch als Sänger eine gute Figur abgibt und sich exzellent auf härtere Klänge versteht, kommt dem Frontmann daher sehr entgegen.
Während Per Wiberg bei Kamchatka vornehmlich Bass spielt, den Sound im Studio aber auch des Öfteren mit knurrenden Orgel-Klängen auspolstert, gehörte er in der Vergangenheit als Organist zur Besetzung von Opeth, als diese noch dem progressiven Death Metal zugetan waren. Zudem verhalf er so manchem Album der Spiritual Beggars mit beherzten Griffen in die Tasten zu erstaunlicher Strahlkraft. Querverweise zu Letztgenannten lassen sich auf Hoodoo Lightning einige finden, das leugnet auch Thomas Andersson nicht.
»Keine Frage, ein bisschen was vom Beggars-Stil schimmert in manchen unserer Songs durch. Per hat seine ganz eigene Art, Akkorde, Riffs und Melodien zu verfassen und umzusetzen. Bei den Spiritual Beggars war er an vielen Stücken maßgeblich als Komponist beteiligt, bei Kamchatka verhält es sich genauso — klangliche Parallelen zwischen beiden Bands lassen sich daher problemlos finden. Aber das ist für mich nichts Verwerfliches. Bei uns dienen seine Orgel-Passagen größtenteils der Unterfütterung. Sie sorgen für Volumen, sind schmückendes Beiwerk. Das Fehlen dieser Teile soll bei Konzerten keine Löcher in die Songs reißen. Wir sind nur zu dritt und wollen es auch bleiben.«
Dass besagte Orgel-Passagen stärker wahrzunehmen sind als auf Mauga, dem letztjährigen Zweitwerk des King Hobo-Projekts, in dem sich Andersson und Wiberg gemeinsam mit Clutch-Trommler Jean-Paul Gaster austoben, ist laut Thomas Andersson schlicht und ergreifend der jeweiligen Gemütslage während des Komponierens geschuldet. Beim letzten King Hobo-Album sei Per Wiberg »einfach weniger in der Stimmung für ausgiebige Orgel-Exzesse gewesen — nicht alles im Leben hat einen tieferen Sinn!«
Andersson lässt sich gerne treiben, ist stets bestrebt, den stilistischen Weitblick nicht zu verlieren, wie er sagt. Die Resultate überraschen ihn manchmal selbst. »›Supersonic Universe‹ ist das eingängigste Stück, das wir jemals mit Kamchatka aufgenommen haben. Der Kontrast zu bärbeißigen Songs wie ›Fool‹ und ›Let It Roll‹. Das Lied hat während seiner Entstehung dermaßen viele Häutungen durchlebt, dass ich irgendwann aufgehört habe zu zählen«, lacht er. »Ursprünglich handelte es sich dabei um eine Ballade, die oft umgebaut wurde und immer mehr an Fahrt gewann. Je schneller der Song wurde, desto besser gefiel er mir. Wenn man so will, ist er die sonnendurchflutete Insel in einem stürmischen, aufgewühlten Ozean.«