Hammerfall

Alles muss ins Gleichgewicht

Als verlässliche Lieferanten von Qualitätsstahl schreiben Hammerfall auch mit Avenge The Fallen ihre Erfolgsgeschichte fort. Ein erheblicher Teil ihrer neuen Songs entstand unterwegs auf Tour — die Markterosion der zurückliegenden Jahre zwang die Schweden zu einer radikal geänderten Arbeitsweise.

TEXT: MARTIN RÖMPP |FOTO: Tallee Savage

Dass es für Hammerfall mit jeder Veröffentlichung schwieriger wird, den jeweils neuesten Streich als besonders herausragende Platte im Kontext der eigenen Historie zu bewerben, haben sich die Schweden um das Anführerdoppel Oscar Dronjak (Gitarre) und Joacim Cans (Gesang) selbst zuzuschreiben: Weder haben die Metal-Puristen jemals wirklich geschwächelt noch sind sie zu weit vom selbst gewählten Pfad abgewichen. So klingen auch jüngste Kompositionen wie ›The End Justifies‹, ›Burn It Down‹ oder ›Freedom‹ auf Anhieb vertraut, bewahren sich aber eine Frische, die Avenge The Fallen als ihr 13. Album auch ohne signifikante Neuerungen aufregend tönen lässt.

»Die Leute wissen genau, was sie von Hammerfall erwarten können«, bekräftigt Oscar Dronjak. »Wir wollen das Rad nicht ständig neu erfinden, aber auch nicht immer wieder die gleiche Platte abliefern — was einen ziemlichen Spagat bedeutet.« Der Gitarrist weist drauf hin, dass er als Songschreiber über die Jahre vor allem gelernt habe, dass es bei einem ausbalancierten Album nicht nur auf gute Einzelsongs ankomme. »Früher haben wir einfach zehn Stücke geschrieben, die wir toll fanden, und fertig war die Platte — egal, ob dadurch ein Spannungsbogen aufgebaut oder für Abwechslung in Tonart und Tempo gesorgt war. Dabei ist eine gewisse Dynamik wichtig, was ich aber erst bei den Arbeiten zu unserem vierten Album Crimson Thunder kapiert habe.«



Seit diesem Album, das 2002 unter der Regie von Produzent Charlie Bauerfeind unter anderem im Mi Sueño-Studio von Helloween-Frontmann Andi Deris auf Teneriffa entstand, hatte Dronjak einen erprobten Arbeitsrhythmus etabliert, den er erst vor wenigen Jahren radikal ändern musste.

»Früher fanden die Tourneen zu den jeweiligen Alben recht konzentriert statt. Wenn das letzte Konzert absolviert war, konnten wir uns sieben oder acht Monate lang ausschließlich darum kümmern, neue Songs zu schreiben, ins Studio zu gehen und die nächste Platte aufzunehmen. So läuft das aber heute nicht mehr. Einkünfte erzielst du in der Musik schon lange nicht mehr über den Verkauf klassischer Tonträger, es hat sich alles verändert. Und es gibt keine größeren Pausen, wir müssen unentwegt unterwegs sein, um als Band dieser Größe bestehen zu können. Was mich vor allem bei den Arbeiten an Built To Last im Frühjahr 2016 unter immensen Druck gesetzt hat, als nach der letzten Show nur acht Wochen Zeit bis zum fixen Studiotermin blieben, in denen ich die Songs aus dem Ärmel schütteln musste. Diesem Stress wollte ich mich nicht noch einmal aussetzen. Seither habe ich meinen Laptop samt Audiointerface immer auf Tour dabei, kann jederzeit meine Gitarre einstöpseln und auf einfachste Weise im Bus oder Hotelzimmer meine Ideen festhalten. Diese Möglichkeit, Musik exakt dann zu schreiben, wenn ich mich inspiriert fühle, hat mir sehr geholfen. Ich kann jetzt auf einen großen Fundus an Ideen zurückgreifen, habe manche Songs schon komplett ausgearbeitet, aber häufig auch nur Fragmente auf meinem Rechner, die ich bei Bedarf verwenden kann.«



Dass nicht jeder Song immer gleich ins Konzept passt, zeigt der jüngste Kracher ›Freedom‹, den Dronjak bereits während der Sessions für Dominion (2018) fertigstellen konnte. »Die Scheibe war auch ohne diesen Song bereits rund, und auch beim Nachfolger Hammer Of Dawn wollte ›Freedom‹ nicht zu den übrigen Nummern passen«, erinnert sich der Gitarrist. »Als ich dann das Material für Avenge The Fallen zusammengetragen habe, hat sich der Track als perfekter Baustein für dieses Konstrukt erwiesen. Jedes der zehn Lieder, von ›Avenge The Fallen‹ bis zu ›Time Immemorial‹, trägt zu der benötigten Balance bei — und würde man ein Stück verändern, käme die ganze Platte aus dem Gleichgewicht«, ist sich Oscar Dronjak sicher.

Daneben zeigt sich der Schwede nicht nur mit der lebendigen Produktion mehr als zufrieden, sondern macht auch seinem langjährigen musikalischen Partner Joacim Cans ein Kompliment. »Was er gemeinsam mit Jay Ruston im Studio in Los Angeles aus sich herausgeholt hat, verpasst unserer energiegeladenen Performance quasi das Sahnehäubchen! Joacim hat viele Jahre lang immer mit James Michael von Sixx:AM gearbeitet, der genau wusste, wie er ihn zu Höchstleistungen pushen konnte. Inzwischen ist James aber von Kalifornien nach Nordirland gezogen, was für Joacim keine Option war — vor allem nicht im Januar, als seine Gesangsaufnahmen anstanden. Ich kann verstehen, dass ihm da ein milderes Klima, das auch das Risiko einer Erkältung minimiert, deutlich lieber ist. Und dass wir im Studio in L.A. auch noch zufällig hereinschneiende Könner wie John Bush von Armored Saint und Marc Lopes von Metal Church für die Chöre gewinnen konnten, war ein Bonus, den wir gerne mitgenommen haben!«



Von einer eher unschönen Entwicklung sind Hammerfall im aktuellen Festivalsommer betroffen: Nicht nur bei großen europäischen Veranstaltungen wie dem Graspop, Copenhell oder Rock Harz schwillt die Zahl der Bandnamen auf den Plakaten immer mehr an, während die jeweiligen Spielzeiten selbst für etablierte Acts immer kürzer werden.

»Den Abschuss stellte in dieser Hinsicht das Milwaukee Metal Fest in den USA dar, wo wir abends um 20 Uhr gerade mal für 35 Minuten auf die Bühne durften«, schüttelt Oscar Dronjak noch immer verständnislos den Kopf. »Wir haben jetzt 13 Platten aufgenommen, und selbst bei unseren eigenen Headliner-Tourneen ist es verdammt schwer, einen Set zusammenzustellen, der alles abdeckt und die Leute nicht enttäuscht — was bei einer halben Stunde völlig unmöglich ist. Das frustriert mich auch als Musiker, selbst wenn ich das Argument schon nachvollziehen kann, dass wir so den Fans einen Appetithappen hinwerfen und sie hungrig genug bleiben, um später zu unseren Shows zu kommen. Wenn ich aber den Aufwand sehe, den wir für dermaßen kurze Auftritte betreiben, hält sich meine Motivation auf weitere Festivals dieser Art momentan in Grenzen«, bilanziert der Musiker.



»Wir brauchen meist einen Anreisetag mit teilweise mehreren Flügen und sitzen noch mehrere Stunden in einem Van, um zum Ort des Geschehens zu kommen. Am zweiten Tag schlägst du die Zeit tot, bis du abends auf die Bühne kannst — das ist der tollste Teil des Trips. Der nächste Tag geht wieder für die Rückreise drauf, und kaum bist du richtig zu Hause angekommen, packst du schon wieder für das nächste Wochenende. Ich will mich nicht beschweren, wir lieben es, auf der Bühne zu stehen. Aber wenn du solche Ochsentouren auf dich nimmst, um dann lediglich eine halbe oder dreiviertel Stunde spielen zu können, stimmt die Verhältnismäßigkeit einfach nicht mehr.«


Dieser Text stammt aus ► ROCKS Nr. 102 (05/2024).

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