New York Dolls

David Johansen (1950-2025)

Steven Tyler beschrieb die Musik, die Aura und das Auftreten der New York Dolls einmal als »Rolling Stones auf Acid« — und skizzierte sie damit weitaus anschaulicher als die Konsens gewordene Zuordnung zum frühen Punkrock. Nun ist deren Sänger David Johansen mit 75 Jahren gestorben.

TEXT: DANIEL BÖHM |FOTO: Roadrunner

Steven Tyler beschrieb die Musik, die Aura und das Auftreten der New York Dolls einmal als »Rolling Stones auf Acid« — und skizzierte sie damit weitaus anschaulicher als die Konsens gewordene Zuordnung zum frühen Punkrock. Konsens war nie ihr Ding. In einer Zeit, in der Rockmusik gigantisch groß (Led Zeppelin) und immer verspielter wurde (Art-Rock) und längst im Establishment angekommen schien, zwängten sich die New York Dolls 1971 skandalträchtig in High Heels und Frauenfummel und ließen auf der Bühne ein Feuerwerk schockierender Rock’n’Roll-Dekadenz explodieren, das sie sehr direkt aus den Vorgaben der Stones, Chuck Berrys, schnoddrigem Detroit-Sound und hartem Rhythm’n’Blues speisten. Es schien ihnen ein Fluch anzuhängen: Noch vor den ersten Plattenaufnahmen starb auf einer Tournee durch England ihr Trommler Bill Murcia, der die Gruppe mit Johnny Thunders (Gitarre) und Arthur Kane (Bass) gegründet hatte — drei Jahre nach dem fabelhaften Puppen-Debüt und ein Album später (Too Much Too Soon, 1974) waren die New York Dolls Geschichte.
Ihr Frontmann war David Johansen. Der Sohn einer irischen Bibliothekarin und eines norwegischstämmigen Versicherungsangestellten wuchs auf Staten Island auf. Blues und Rhythm’n’Blues begleiteten ihn seit Kindesbeinen — schon bei den Vagabond Missionaries, bei denen er sich in den ausgehenden sechziger Jahren austobte. Auf den Solo-Alben, die er nach dem einstweiligen Ende der New York Dolls auf den Weg brachte, sind sie nicht immer gleich stark ausgeprägt. Während das starke Debüt David Johansen (1978) wie eine kontrollierte Mischung aus den Dolls und dem Solo-Erstling von Ian Hunter überzeugte (›Funky But Chic‹, ›Girls‹), trugen die nachfolgenden Studio-Alben In Style (1978, produziert von Mick Ronson), Here Comes The Night (1981) und Sweet Revenge (1984) nur wenig zum Karriereaufbau unter eigenem Namen bei. Erst sein Alter Ego Buster Poindexter, als der er sich Jump Blues, Swing und Jazz hingab, brachte ihm größere Aufmerksamkeit — und mit ›Hot Hot Hot‹ (Buster Poindexter, 1987) nicht nur einen großen Hit, sondern auch einen Platz in der Hausband der amerikanischen TV-Comedy-Show Saturday Night Live. Daneben entdeckte der Musiker auch sein Faible für die Hollywood-Schauspielerei: Im Laufe der Jahre spielte er in über zwanzig Filmen und TV-Serien, darunter in einer Folge von Miami Vice (1985) sowie in den Filmen Die Geister, die ich rief… (1988) und Eine Nacht in New York (1999).



Bis zu dessen Tod vor vier Jahren blieb David Johansen eng Sylvain Sylvain verbunden. Der einstige Gitarrist der New York Dolls ist auf diversen Solo-Alben des Sängers zu hören und spielte zeitweise fest in seiner Band. 2004 taten sich die beiden wieder unter dem Banner ihrer alten Gruppe zusammen, mit der sie drei weitere LPs aufnahmen und etliche Live-Shows spielten. Liebhaber schätzen gerade die Alben One Day It Will Please Us To Remember Even This (2006) und ’Cause I Sez So (2009) als altersweise Essenz dessen, was die New York Dolls und speziell ihren Frontmann musikalisch immer angetrieben hatte: harten Rhythm’n’Blues. Im Titelstück von ’Cause I Sez So etwa kracht es in schnoddriger Stones-Manier, ›This Is Ridiculous‹ ist Gossen-Blues in bester Howlin’ Wolf-Manier.
 

 



Mit seiner Gruppe The Harry Smiths hat David Johansen den (Folk-)Blues über mehrere Platten hinweg ganz direkt erforscht und ist selbst zu einer Kapazität im Blues geworden. Bob Dylan ist ein erklärter Bewunderer der Harry Smiths, und ein so stilprägender Gitarrist wie Hubert Sumlin holte den Sänger in seine Combo. »Ich singe immer noch für Hubert. Ich habe auch ein paar Lieder auf einer seiner Platten gesungen«, erklärte Johansen stolz im Interview. »Hubert ist einzigartig, er ist ein Erneuerer des Rock’n’Roll. Er hat für Howlin’ Wolf gespielt und viele seiner Soli haben andere Gitarristen Note für Note kopiert. Instinktiv und emotional ist er sehr nahe bei seinem Spiel. Ein Pionier der elektrischen Gitarre!«
Am 28. Februar ist David Johansen gestorben. Nur wenige Wochen zuvor hatte er seine langjährige Krebserkrankung öffentlich gemacht. Er wurde 75 Jahre alt.


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