Inglorious

Neubeginn mit viel Erfahrung

Nach dem Cover-Album Heroine hatte der stimmgewaltige Nathan James seiner Band Inglorious eine Auszeit auf unbestimmte Zeit verordnet. Die ist mit V beendet: Vor allem die Rückkehr von Bassist Colin Parkinson soll den britischen Heavy-Rockern zu Stabilität verhelfen.

TEXT: MARKUS BARO |FOTO: Nathersson

Leicht haben es Inglorious in den vergangenen Jahren nicht gerade gehabt. Nach der Veröffentlichung ihres dritten Albums Ride To Nowhere (2019) verließen die Gitarristen Drew Love und Andreas Eriksson sowie Bassist Colin Parkinson die Formation im Streit, die Produktion des Nachfolgers We Will Ride (2021) verlief aufgrund der Pandemie-Einschränkungen unter erschwerten Bedingungen. Entnervt zog Sänger Nathan James im Anschluss an die begleitenden Auftritte einen vorläufigen Schlussstrich.

»Die Moral bei allen Beteiligten war auf dem Nullpunkt angelangt. Dass wir We Will Ride mit Abstand und Maske im Studio einspielen mussten, war schon abenteuerlich, aber zu verkraften. Doch die ganzen Regeln bei den Live-Shows einhalten zu müssen, ließ mich irgendwann verzweifeln. Du siehst im Publikum Leute, die Maske tragen und zwei Meter Abstand zur nächsten Person einhalten. Das war nicht mehr, was ich mir unter Rock’n’Roll vorgestellt hatte, obwohl ich die Maßnahmen befürwortet habe. Dennoch war ich irgendwann einfach nur müde und ausgelaugt. Wir haben dann noch Heroine eingespielt, auf dem wir die Lieblingslieder meiner weiblichen Gesangsidole interpretiert haben, danach einigten wir uns auf eine längere Pause. Und ich glaube, nach der hat sich jeder gesehnt.«



Doch das Ende dieses außerplanmäßigen Stopps bedeutete auch eine interne Zäsur. Keiner der Musiker, die an den letzten beiden Werken beteiligt waren, haben sich dem Neustart angeschlossen. Dafür überraschenderweise Ur-Bassist Colin Parkinson: Man habe sich ausgesprochen, erklärt James, der zwischen 2012 und 2014 dem Ensemble des Trans-Siberian Orchestra angehörte, lapidar und betont die fantastische Arbeitsgemeinschaft, die Parkinson und er bei den ersten drei Scheiben gebildet hatten.

»Mir war sehr bewusst, dass diese Band ohne Colin einfach nicht so klingt, wie ich es mir wünsche. Wir haben uns zunächst in einem Pub auf ein paar Pints getroffen und hatten sofort wieder einen guten Draht zueinander. Und auch musikalisch hat die Chemie noch gestimmt. Nach ein paar Tagen hatten wir bereits eine Handvoll hochklassiges Material und sind übereingekommen, Inglorious gemeinsam wieder stark zu machen. Colin schreibt nicht nur gehaltvolle Texte, sondern hat auch eine Art, an Songs heranzugehen, die mit meinen Ideen sehr gut harmoniert. Seine Bedingung für einen Neubeginn war jedoch, dass wir in Zukunft auf einen zweiten Gitarristen verzichten würden.«



Für James eine verschmerzbare Forderung, wohl wissend, dass sich daraus für ihre Band auch klanglich ganz neue Möglichkeiten ergeben würden. Etwa die Chance, ihrem bluesigen Hardrock, der sich seit ihrem Start im Jahr 2016 an Vorbildern wie Whitesnake, Deep Purple und Led Zeppelin orientiert, ohne Härteverlust wieder die zuletzt verloren gegangene Transparenz und Subtilität zuzuführen.

»Natürlich sind zwei Gitarristen zunächst einmal eine feine Sache. Andererseits geht es mitunter auf Kosten der Spontanität, wenn man permanent Sorge tragen muss, dass sich niemand benachteiligt fühlt. Stell dir vor, du hast eine super Aufnahme eingespielt, bist vollkommen zufrieden, dann sagt dir jemand, dass er aber fünf Sekunden weniger zu hören ist als der andere und du künstlich etwas hinzu friemeln musst. Und zwei Klampfen dominieren eben auch oft den Gesamtsound. Mit nur einer erreicht man eine viel natürlichere Balance zwischen den einzelnen Instrumenten und dem Gesang. Ich habe mich über den gewonnenen stimmlichen Freiraum jedenfalls gefreut. Und live fährt Colin einen fetten Basssound, ich denke also nicht, dass die Leute bei den Shows das Gefühl haben werden, dass etwas fehlt.«

Leicht ist es dem Teilzeit-Farmer, der auf einem Hof außerhalb von Reading zwischen Schafen und Ziegen lebt, dennoch nicht gefallen, seine beiden Gitarristen Danny Dela Cruz und Dan Stevens gehen zu lassen. Die hatten auf den letzten beiden Alben einen erstklassigen Job abgeliefert. »Wir haben uns nicht im Streit getrennt und ich bin stolz auf jeden Musiker und auf das, was er dazu beigetragen hat, Inglorious zu der Band werden zu lassen, die sie heute ist. Doch mich am Ende für Danny oder Dan zu entscheiden, kam nicht infrage. Sie sind beide auf ihre Art sehr talentiert und aus freien Stücken gegangen, weil sie einem Neuanfang nicht im Wege stehen wollten.«



Neuzugang Richard Shaw vertreibt sich seine Zeit ansonsten mit den Schwarz-Metallern Cradle Of Filth und hat zu verantworten, dass die Band mit nur sechs Saiten deutlich härter klingt als zuvor mit deren zwölf. Und dennoch kämen laut James die Melodien und der bluesige Anteil, den Inglorious vor allem auf dem filigranen Ride To Nowhere sehr erfolgreich gepflegt hatten, nicht zu kurz.

»Es war mir wichtig, den Geist der Band neu zu beleben, wieder ein Feuer zu entfachen. Wir wollten schon zurück zum Sound der ersten drei Scheiben, aber ohne gestrig zu klingen. Das war ein riskanter Spagat. Richard kam mit einem Stapel Riffs ins Studio, die sehr heavy klangen. Dadurch muss man schon etwas genauer hinhören, um unsere bluesigen Wurzeln auszumachen. Aber sie sind noch vorhanden, etwa in einem Lied wie ›Eat You Alive‹. Bei dem vielen Mist, den ich in den vergangenen Jahren durchlebt habe, macht ein härteres Album aber durchaus Sinn.«

Ob die neue Formation längerfristig Bestand haben wird, dazu möchte James keine Prognose abgeben. Zu oft hatte er sich im Vorfeld euphorisch geäußert, zu oft wurde er enttäuscht. »Es ist für mich beinahe zur Gewohnheit geworden, nach jeder Platte wieder bei Null zu beginnen. Die Voraussetzungen haben sich allerdings geändert, nun, da Colin wieder mit an Bord ist. Es fühlt sich so aufregend an, wie zu Zeiten unseres Debüts, nur dass wir jetzt auch über die nötige Erfahrung verfügen. Ich denke, die Zukunft wird spannend.«



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